© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/14 / 24. Oktober 2014

Religion und Selbstopfer
Kamikaze: Die Botschaft des Götterwindes
Dirk Glaser

Am 25. Oktober 1944 stürzten sich die ersten „Kamikaze“-Flieger auf die vor den Philippinen operierende US-Flotte. Seitdem bezeichnet der Begriff Kamikaze („Götterwind“) Selbstmordanschläge in jeglicher Variation. Seit dem 11. September 2001 sogar den Terror muslimischer Attentäter.

Für die Heidelberger Religionswissenschaftlerin Inken Prohl war die strukturelle Ähnlichkeit des Selbstopfers japanischer Piloten und islamistischer Massenmörder Ausgangspunkt einer Untersuchung zum Gewaltpotential von Religionen (Ruperto Carola, 4/2014). Anschließend an US-Studien, die anhand von Briefen und Tagebüchern die Motivationen von etwa 2.500 Kamikaze-Fliegern erforschten, wartet Prohl mit der „verblüffenden“ Feststellung auf, shintoistische Vorstellungen hätten sie kaum berührt. Bei der größten Gruppe der Freiwilligen handelte es sich um Studenten, für die vielmehr ein „ausgeprägter“, an der deutschen Romantik, an Goethe und Nietzsche orientierter „Idealismus“ und Patriotismus leitend gewesen sei.

Der generelle Opferwille dieser intellektuellen Elite sei dann, wie es in Prohls unschlüssiger Argumentation heißt, erst durch die „Ästhetik der Kirschblüte“ in konkrete Einsatzbereitschaft verwandelt worden. „Emotionalisiert“ durch die Kirschblüte als Sinnbild vergänglichen Lebens, hätten sich die Piloten mit der „Idee des altruistischen Opfers für ihr Land identifiziert“ und sich vom „Militarismus“ und dessen „Staats-Ideologie indoktrinieren und instrumentalisieren“ lassen. Obwohl also die Bereitschaft zur Hingabe für den Tenno und die Nation hinreichend vorhanden war, wenn auch gespeist aus europäischer Philosophie, soll erst die dem Shintoismus ephemere Kirschblüten-Symbolik ihren individuellen Tatwillen evoziert haben.

Wasserklar an dieser kruden Konstruktion ist lediglich Prohls Botschaft bezüglich des Islam. Denn aus dem Kamikaze-Exempel sei zu lernen, daß „Gewalt und Terror“ nicht primär religiösen, und damit vermeintlich „archaischen“ Quellen entspringen. Folglich wohne dem Islam auch kein spezielles Gewaltpotential inne. Wie die „Götterwind“-Flieger aus „globalem Kulturfundus“ schöpften, so seien „islamische Akteure“ vertraut mit „intellektuellen Denktraditionen Europas“. Ebenso beseele sie zugleich „ein tief empfundenes Verantwortungsgefühl gegenüber ihrer Gemeinschaft“. Der Islam könne in Krisen höchstens eine „konfliktverschärfende Dynamik entfalten“. Aber auch dann offenbarten sich nur „Mechanismen, die überall wirken“.

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