© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/14 / 31. Oktober 2014

Der Staat bricht sein Versprechen
Innere Sicherheit: Der Journalist Franz Solms-Laubach über Ursachen und Folgen der wachsenden Kriminalität
Michael Paulwitz

Sicherheit ist ein Grundrecht, und das Ende der Sicherheit ist erreicht, wenn die Polizei uns nicht mehr schützen kann. Die Grundthese des Buches von Franz Solms-Laubach ergibt sich so zwingend aus dem staatlichen Gewaltmonopol, wie die Erfüllung des damit verbundenen Schutzversprechens heute nicht mehr selbstverständlich ist.

Solms-Laubach, Parlamentskorrespondent der Bild-Zeitung, stellt das Staatsversagen auf dem Gebiet der inneren Sicherheit anschaulich dar, macht verständlich, wie sich Bürger und Polizei von der Politik im Stich gelassen fühlen, und spricht einige unangenehme Fakten an, blendet sie aber bei der Lösungssuche weitgehend aus.

Erhellend sind vor allem die ersten drei Kapitel des Buches. Solms-Laubach hat gute Gründe, aus den nur scheinbar beruhigenden Kriminalitätsstatistiken herauszulesen, warum das Sicherheitsempfinden der Bürger sinkt. Gerade in den Kriminalitätsbereichen, die den Alltag betreffen – Diebstahl, Einbruch, Überfälle, Gewalt gegen ältere Menschen – sind die Deliktzahlen hoch oder steigen sogar, die Aufklärungsraten sind alarmierend gering, und das Dunkelfeld von Taten, die mangels Erfolgsaussicht gar nicht mehr zur Anzeige gebracht werden, entsprechend hoch. Sicherheit droht privatisiert und zum „Luxusgut“ zu werden, wenn der Staat sich immer mehr zurückzieht. Der versierte Bild-Journalist präsentiert seine Befunde in einer griffigen Mischung aus Statistiken, O-Tönen und Beispielen aus der täglichen Berichterstattung.

Erfreulich direkt wird auch der hohe Ausländeranteil vor allem bei Diebstahls- und Einbruchsdelikten und dem neuen Phänomen der „reisenden Tätergruppen“ angesprochen und der direkte Zusammenhang mit der Ost- und Südost-Erweiterung der Europäischen Union und der Öffnung der Grenzen klar benannt. Zur organisierten Kriminalität mobiler Einbrecherbanden hat Solms-Laubach die Aussage eines „hochrangigen Ermittlers“ beizusteuern, daß das „raffinierte Vorgehen mancher Diebesbanden mit ihrer beruflichen Vergangenheit als ehemalige Mitarbeiter osteuropäischer Geheimdienste“ oder Sicherheitskräfte zu erklären sei.

In einem zweiten, stark aus Polizei-Innensicht verfaßten Kapitel faßt Franz Solms-Laubach zusammen, warum die Polizeien von Bund und Ländern Eigentum und Sicherheit der Bürger immer weniger schützen können: Bürokratie und „Kaputtsparen“, Überalterung der Polizeikräfte, die zunehmend ausbrennen, Überlastung durch Sonderaufgaben wie die Ausbildungsmission in Afghanistan und die steigende Gewalt gegen Polizisten, die immer mehr Kräfte zur Eigensicherung bindet, die für andere Einsätze fehlen. Gern renommiert der langjährige Bild-Korrespondent mit seinen exklusiven Einblicken in vertrauliche Dokumente, aus denen er ausführlich zitiert.

Unverständlich bleibt, warum Solms-Laubach hier, ebenso wie bei der Analyse der wachsenden Unsicherheit für die Bürger, zwar eigene Unterkapitel zum Rechtsextremismus im Internet und in Mitteldeutschland und zur rechtsextremen Gewalt gegen Polizeibeamte einschiebt, aber den hohen – und steigenden – Anteil von Linksextremisten und bestimmten Einwanderergruppen an der wachsenden Gewalt gegen Polizeibeamte nicht klar beim Namen nennt.

Bei der Frage nach den Ursachen handelt der Autor dagegen nicht nur allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen – mediale Reizüberflutung, Verrohung, Drogenkonsum, Jugend- und Fußballkriminalität – ab, sondern benennt auch die heiklen Themen: die Bedrohung der inneren Sicherheit durch den Vormarsch von Islamisten und Salafisten, legale und illegale Asyl-Einwanderung und die haarsträubenden Vollzugsdefizite bei der Abschiebung „vollziehbar ausreisepflichtiger Personen“ und den „statistisch belegten“ Zusammenhang von Armutseinwanderung im Europa der offenen Grenzen, steigender Kriminalitätsbelastung und innerstädtischer Verwahrlosung.

Rückzug auf Nebenkriegsschauplätze

Im Schlußkapitel „Was sich ändern muß“ springt Solms-Laubach dann allerdings deutlich zu kurz. Zwar plädiert der Autor überzeugend für mehr Polizeipräsenz, bessere finanzielle, personelle und technische Ausstattung der Sicherheitskräfte, mehr Selbstbewußtsein und politische Rückendeckung sowie besseren Rechtsschutz für Polizeibeamte, zieht sich dann aber auf in Unionskreisen bevorzugte Nebenkriegsschauplätze wie Videoüberwachung des öffentlichen Raums und Vorratsdatenspeicherung zurück und hat für die zuvor angesprochenen heißen Eisen vor allem die gängigen Allgemeinplätze anzubieten: Die Armutszuwanderung müsse in den Herkunftsländern bekämpft werden, kurzfristige Abhilfe etwa durch Wiedereinführung von Grenzkontrollen sei wegen des Widerstands der anderen europäischen Staaten „unwahrscheinlich“. Der Vorstoß des britischen Premiers David Cameron zur Beschränkung der Freizügigkeit und die scharfe Zurückweisung durch die Bundeskanzlerin zeigen aber, daß es eben doch in erster Linie eine Frage des politischen Willens zur Souveränität ist, ob eine vorgefundene Situation „alternativlos“ ist.

Franz Solms-Laubach: Das Ende der Sicherheit. Warum die Polizei uns nicht mehr schützen kann. Droemer-Knaur, München 2014, gebunden, 256 Seiten, 18 Euro

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