© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/14 / 31. Oktober 2014

Grüße aus Santiago de Cuba
Beruf Arzt – nein danke
Alessandra Garcia

Meine Cousine Maria rief mich kürzlich an. Sie wollte wissen, wie es ihrer zweijährigen Tochter geht. Und ob ich ihr nicht ein aktuelles Foto schicken könne. Schließlich bin ich die einzige in der Großfamilie, die ein Handy mit Kamera besitzt und genügend Guthaben, um ausnahmsweise mal eine MMS zu verschicken.

Maria hat ihr kleines Mädchen seit acht Monaten nicht gesehen. Weil sie in einem Krankenhaus in Venezuela arbeiten muß, wächst Adi bei meiner Tante auf.

Daß unser Land Lehrer, Ärzte, medizinisches Personal in andere Staaten entsendet, hat Tradition und ist Teil der solidarischen Hilfe, die das sozialistische Kuba leistet. Seit 1959 schickte das Land mehr als 325.000 Ärzte, Pfleger und Schwestern in 158 Länder. Diese Zahlen nannte Gesundheitsminister Roberto Morales Ojeda unlängst im Staatsfernsehen. Allein in Afrika waren über 77.000 Mediziner im Einsatz.

Jetzt lebt die Tochter bei meiner Tante, und das Ärztepaar dürfte sich lange nicht mehr sehen.

Maria war anfangs froh, nach Venezuela delegiert zu werden. Erstmals in ihrem Leben konnte sie ein anderes Land kennenlernen. Dazu würde ihr dieser Einsatz nach der Rückkehr Aufstiegschancen eröffnen. Auch ist die Bezahlung weit besser als die 20 Dollar, die ein Arzt monatlich auf Kuba verdient.

Dann aber wurde ihr Ehemann nach Afrika zwangsverpflichtet. Als Spezialist gehört er zu jenen 62 Ärzten, die sofort nach Ausbruch der Epidemie in Sierra Leone das Ebola-Virus bekämpfen sollten. Da es nicht sein erster Einsatz auf dem Schwarzen Kontinent ist und seine Frau gerade ihren Dienst in Venezuela leistete, wagte er die Frage, was denn in seiner Abwesenheit aus der Tochter werden soll?

Wenn er niemanden in der Familie fände, der sich um sie kümmern könne, müsse sie eben in einem Heim untergebracht werden, lautete die Antwort der Vorgesetzten. Sollte er jedoch den Einsatz ablehnen, verlöre er seine Zulassung als Mediziner. Ähnliches bekam Maria zu hören, als sie der Vertragsverlängerung auf drei Jahre nicht zustimmen wollte.

Jetzt lebt die Tochter bei meiner Tante, und das Ärztepaar dürfte sich lange Zeit mehr nicht sehen. Wenn Maria im Februar Urlaub und einen Heimflug finanziert bekommt, ist zwar just der viermonatige Einsatz ihres Mannes zu Ende, doch der muß den Februar in Quarantäne in Afrika verbringen und einen weiteren Monat in Havanna. Wenn er nach Hause kommt, ist Maria wieder in Venezuela. Das alles klagte sie mir am Telefon – und ich bin ehrlich froh, in diesem Land keine Ärztin zu sein.

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