© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/14 / 31. Oktober 2014

Handynutzer werden immer jünger
Trend: Schon Erstkläßler besitzen Smartphones / Was müssen Eltern beachten und wie reagieren Schulen?
Markus Brandstetter

Eine achte Klasse in einem Gymnasium in Deutschland vor wenigen Monaten: Ein Schüler fotografiert in der Schule einen Klassenkameraden mit seiner Handykamera. Zu Hause bastelt er dann eine Karikatur, die den anderen Schüler als grotesk dicken Lord Voldemort zeigt, und schreibt darunter: Jonas Voldemort.

Jener Lord Voldemort ist der teuflische Widersacher aus der Romanreihe Harry Potter, aber das muß einem deutschen Schüler niemand erklären. Minuten später schickt der junge Karikaturist sein Bild mit einem kleinen Programm namens WhatsApp auf die Handys aller Schüler der achten Klassen. Binnen Sekunden kann jeder nun das Bild an alle Menschen schicken, die er kennt, und seinerseits einen lustigen und für den so Verspotteten ziemlich kränkenden Spruch daruntersetzen. Nach zwei Tagen sind alle am Gymnasium und die halbe Kleinstadt, wo sich dies abspielt, im Besitz der Karikatur und lachen sich halb tot. Bis auf den verspotteten Jonas, der lacht gar nicht.

Der wird nicht lustig, sondern depressiv, seine Leistungen lassen nach, seine Noten werden schlechter, er selber öfter krank. Und das ist noch die harmlose Variante. In der ernsten gehen Nacktbilder eines Mädchens herum, die nicht nur auf Handys landen, sondern im Internet, wo sie jahrelang jeder sehen kann. Die Folge in diesem Fall sind nicht mehr Depressionen, Psychiater-Besuche und schlechte Noten, sondern Schulwechsel, Magersucht und am Schluß der Selbstmord des betroffenen Mädchens.

85 Prozent der 13jährigen nutzen ein Smartphone

Daran sind auch Smartphones und ihre flächendeckende Verbreitung. Nicht nur, aber zum Teil. 40 Millionen davon sind in Deutschland im Moment im Umlauf, was bedeutet, daß jeder zweite Deutsche – und da sind Kinder und Senioren mitgezählt – mindestens eines hat, vermutlich aber mehr. Schon seit einigen Jahren gibt es in Deutschland mehr Handy-Nutzer als Festnetzanschlüsse, von denen es gerade noch 38 Millionen gibt, Tendenz sinkend.

In drei Jahren sollen bereits 65 Millionen Deutsche mit ihrem Handy im Internet surfen, also praktisch jeder, der nicht seine Tage entweder in der Kinderkrippe oder auf der Intensivstation verbringt. Richtig interessant ist noch, wie alt die Nutzer der Smartphones sind: Unglaubliche 20 Prozent aller Kinder zwischen sechs und sieben haben bereits ein Smartphone und surfen damit auch im Internet. Bei den Zehnjährigen ist es bereits mehr als die Hälfte, und wenn die Kleinen erst einmal 13 Jahre alt sind, dann nutzen ganze 85 Prozent von ihnen oft mehrmals täglich ein Smartphone.

Das hat Konsequenzen, und nicht alle sind positiv. Die positiven Folgen der Handynutzung durch Jugendliche sind absolut überschaubar. Die Kinder lernen frühzeitig mit Technik, Internet und Softwareprogrammen umzugehen, sie kommunizieren mit Freunden und Klassenkameraden öfter und auch in der Freizeit, und ein verregneter Urlaub oder lange Autofahrten können durch Spiele auf dem Handy tatsächlich ganz gut aufgelockert werden.

Die positiven Folgen des Trends sind überschaubar

Die negativen Folgen müssen nicht immer so gravierend oder gar tragisch wie in den Eingangsbeispielen sein, aber auch das vermeintlich Harmlose kann zumindest ganz schön ins Geld gehen. Deutsche Schüler in der siebten Klasse können laut Statistik im Monat über ein Taschengeld von 20 bis 25 Euro verfügen. Das sind Durchschnitte, die die wahren Beträge erheblich verzerren, 50 Euro dürften realistischer sein.

Aber allein das reicht für die Nutzung eines Smartphones kaum aus. Kinder, die viel telefonieren, viel im Internet surfen und viele Apps zum Spielen herunterladen, kommen im Monat locker auf Gebühren von 100 Euro und mehr. Kein Wunder, daß nach einer Umfrage der Demoskopie Allensbach im Mai 2013 sich Jugendliche viel mehr darum sorgten, wie sie finanziell über die Runden kommen, während Sorgen um schlechte Noten oder einen guten Studien- und Ausbildungsplatz sie deutlich weniger bedrückten.

Andere Länder, andere Handyregeln

Der Einfluß von Eltern und Schulen auf all das ist begrenzt. Ob Handys auf dem Schulhof oder im Unterricht erlaubt sind, entscheidet die jeweilige Schule. Da Schulrecht Sache der Länder ist, können in unterschiedlichen Bundesländern auch verschiedene Regeln gelten. So ist beispielsweise Bayern besonders streng: Dort ist sogar im Schulgesetz festgelegt, daß Handys auf dem gesamten Schulgelände ausgeschaltet bleiben müssen.

An vielen Schulen ist die Nutzung von Handys im Klassenzimmer verboten, weil Handys vom Unterricht ablenken, Lehrer und andere Schüler nerven und die Schüler damit heimlich Fotos von Prüfungsarbeiten schießen können. Aber vermeintlich progressive Stimmen, die die Zulassung von Handys auch im Unterricht verlangen, mehren sich.

Strikte Verbote durch Eltern bringen nichts, Offenheit, Vertrauen und Kontrolle sind besser, weil viele Jugendliche mit dem Handy kompetenter als ihre Eltern umgehen und immer einen Weg rund um Verbote und Einschränkungen finden.

Wer sich vor horrenden Gebühren schützen will, kauft dem Junior ein günstiges Smartphone mit einem im voraus bezahlten Guthaben (Prepaid), das die Eltern immer wieder auffüllen können. Dann muß der Junior regelmäßig zum Rapport auf der Matte stehen, wenn er wieder spielen und surfen will. Das ist altmodisch, aber wirkungsvoll und sicher.

 

Wann müssen Eltern zahlen?

Minderjährige können ohne die Zustimmung ihrer Eltern in der Regel keinen eigenen Mobilfunkvertrag abschließen. Was passiert nun, wenn ein Kind mit dem elterlichen Handy eine Monsterrechnung produziert? Grundsätzlich gilt: Zahlen muß der Vertragspartner. Wer seinem Kind ein Handy überläßt, der muß dafür aufkommen.

Aber das gilt nicht immer. Eltern sollten sich die Details genau anschauen: Möglicherweise ist der Vertrag ungültig, den ein Anbieter mit dem Handynutzer abgeschlossen hat. Im Fall eines Mädchens, das ein Klingeltonabo bestellt hatte, urteilte das Amtsgericht Berlin 2010, daß der Vater dafür zahlen muß (AZ 15 C 423/08). Bei Browserspielen hingegen, die auch auf Smartphones genutzt werden, gab es 2011 vom Amtsgericht Hamburg (AZ 7c C 53/10) und vom Landgericht Saarbrücken (AZ 10 S 60/10) elternfreundliche Urteile – und Geld zurück. (rg)

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