© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/14 / 31. Oktober 2014

Energiewende lockt ausländische Kaufleute
Direktinvestitionen: Deutschland ist attraktiv für Anleger aus aller Welt, doch diese kommen oft nur wegen der staatlichen Subventionen
Ronald Gläser

Die Schweizer Firma Terravent feiert die erste Investition ihrer Firmengeschichte in Deutschland: Die schweizerische Beteiligungsgesellschaft hat im August einen neuerrichteten 20-Megawatt-Windpark im Landkreis Rostock gekauft. Die neuen Eigentümer wollen die derzeit acht Nordex-Turbinen nach Medienberichten ausbauen auf bis zu 90 Megawatt Leistung. Und sie sind an weiteren Investitionen in Deutschland interessiert.

Viele wollen einfach zum Oktoberfest

Deutschland steht als Standort gut da. Die Situation ist paradox: Die Deutschen schimpfen über kümmerliche Zinsen. Inländische Unternehmer beklagen ein durch Mindestlohn, Mietpreisbremse und andere staatliche Vorgaben verschlechtertes Investitionsklima. Und dennoch fließt nicht nur Geld aus Deutschland ab. Nein, es kommt auch immer mehr Geld hinein, Deutschland konnte 2013 zum wiederholten Male Rekord-Direktinvestitionen verzeichnen.

Einer Studie der Beratungsgesellschaft Ernst & Young aus dem Juli zufolge haben 2013 ausländische Direktinvestoren 701 Projekte auf deutschem Boden vorangetrieben. Dieser Spitzenwert wird in Europa nur von den Britischen Inseln übertroffen. Im Vergleich zum Vorjahr lag die Zahl der Großprojekte in Deutschland damit um zwölf Prozent höher. Seit 2005 hat sie sich fast vervierfacht.

Die meisten Investitionen kommen aus den Vereinigten Staaten (142), gefolgt von der Schweiz (98), China (68), Großbritannien (47), Frankreich (41), Japan (37), Indien (25), Österreich (24), den Niederlanden (20) und Italien (18). Die Hauptländer, in die solche Invesitionen fließen, sind Baden-Württemberg (222), Nordrhein-Westfalen (163), Hessen (95) und Bayern (61). Berlin ist mit 25 Projekten nur im Mittelfeld, wobei laut Ernst & Young Ausländer ohne Geschäftskontakte nach Deutschland, Neulinge also, die Hauptstadt bevorzugen.

Insider hingegen gehen lieber nach Bayern und Baden-Württemberg. Als Gründe dafür gelten das gute Image von Bayern als Produzent von Oktoberfest bis BMW und die Rolle Baden-Württembergs als deutsches Silicon Valley.

Ausländer übernehmen lieber inländische Firmen

Giorgio Hefti etwa hat es so gesehen. Der Pionier auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien hat mit seiner Solarfima Tritec seit 13 Jahren einen Standort in Freiburg. Und nun hat er einen weiteren in Stuttgart mit zwölf Mitarbeitern aufgebaut, indem er eine Firma aufgekauft hat.

Solche Auf- und Zukäufe sind die Regel, während Neugründungen von Firmen auf der sprichwörtlichen grünen Wiese die Ausnahme darstellen. „Der Großteil der Investitionen findet heute durch Firmenübernahmen und Beteiligungen statt“, zitiert die Welt den Direktor der deutsch-schweizerischen Handelskammer Ralf Bopp.

Insgesamt sind es beeindruckende Zahlen, die Ernst & Young vorgelegt hat. Sie korrespondieren mit den Daten der Deutschen Bundesbank, die den jährlichen Mittelzufluß und -abfluß akribisch untersucht. Im Bericht „Direktinvestitionen laut Zahlungsbilanzstatistik“ vom Juni 2014 wird die Zunahme ausländischer Direktinvestitionen 2013 in Deutschland mit 20,1 Milliarden Euro beziffert. Zum Vergleich: Die Summe deutscher Investitionen im Ausland war im Vergleichszeitraum mit 43,3 Milliarden Euro mehr als doppelt so hoch.

Doch die Sache hat einen Haken: Wer sich die Zahlen genauer – nach Branchen aufgeschlüsselt – anschaut, stellt fest, daß die Zunahme vor allem auf Dienstleistungen beruht. Die angeblich tadellos dastehende Industrie hatte Abflüsse in einer Größenordnung von sechs Milliarden Euro zu verzeichnen. Zu den wenigen industriellen Bereichen, die noch ausländisches Kapital anlocken, gehört die Energieversorgung mit einem Plus von mindestens 630 Millionen Euro. Gewinne, die hier erwirtschaftet und dann reinvestiert worden sind, gab es nach dieser Statistik übrigens keine.

Es sind Firmen wie das Energieunternehmen PQ Energy, das im Oktober bekanntgab, drei Gaskraftwerke in Süddeutschland bauen zu wollen. Hinter PQ Energy steht Blackstone, der US-amerikanische Investmentfonds.

Ob Terravent, Tritec oder PQ Energy – all diese Firmen kommen nur wegen der Energiewende nach Deutschland. Entweder wollen sie Ökostrom teuer verkaufen oder Versorgungslücken überbrücken helfen, die durch den Atomausstieg zu entstehen drohen. Was, wenn die Subventionen eines Tages zurückgeführt werden? Die Beratungsgesellschaft Bain & Company fürchtet, Deutschland könne sein Niveau an ausländischen Direktinvestitionen in den Jahren bis 2017 bestenfalls halten.

Foto: Terravent-Windpark bei Rostock: Die Anlage produziert Strom für 14.000 Haushalte, wenn der Wind bläst

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