© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/14 / 31. Oktober 2014

Das Entsetzen ausgedrückt
Er sang von Traum und Tod: Anmerkungen zum 100. Todestag des österreichischen Dichters Georg Trakl
Hans Heimo Munas

Wer in Salzburg durch die Getreidegasse spaziert, kommt an Mozarts Geburtshaus vorbei, das ein stark frequentiertes Museum beherbergt. Den wenigsten ist dabei bewußt, daß nur wenige hundert Meter entfernt am Waagplatz das Geburtshaus eines anderen großen Sohnes der Stadt liegt; das Haus, in dem der Dichter Georg Trakl am 3. Februar 1887 geboren wurde.

Schuf Mozart in seinem relativ kurzen Leben, er wurde nur 35, eine schier unübersehbare Fülle an Werken, so umfaßt das Gesamtwerk Georg Trakls, der acht Jahre kürzer lebte als Mozart, nur einen schmalen Band. Ähnlich wie Mozarts Musik für seine Epoche, repräsentiert auch Trakls literarisches Werk seine Zeit. Allerdings in einem wesentlich subtileren Sinne, als es viele Literaturwissenschaftler und Trakl-Exegeten meinen. Läßt sich doch Trakl weder auf den abgehobenen, nur seine eigenen Ängste und Nöte sublimierenden Poeten noch auf den religiösen Schwärmer, der er auch war, reduzieren.

Daß er unter bis heute nicht geklärten Umständen schon wenige Monate nach Beginn des Ersten Weltkriegs gerade an jenem Tag starb, an dem vier Jahre später die kaiserlich-königliche österreichisch-ungarische Armee kapitulierte, darf auch als typisch für sein Schaffen gelten, repräsentiert er doch in gewisser Weise die dekadente Gesellschaft in der letzten Phase der Habsburger Monarchie.

Das Grauen des Krieges hat er nur kurz erlebt

Trakls Werk steht in besonderer Weise für die Vielschichtigkeit und Gegensätzlichkeit seiner Zeit. Zwar hat der Dichter das Grauen des modernen Krieges mit seinen technischen Massenvernichtungswaffen nur kurze Zeit tatsächlich erlebt, in seiner Dichtung hat er aber neben den Abgründen und Widersprüchen seiner sensiblen Seele auch das Entsetzen und die Ängste der Menschen angesichts des sich anbahnenden Untergangs der alten Welt expressionistisch ausgedrückt. Am eindringlichsten wohl in seinem letzten Gedicht „Grodek“: „Am Abend tönen die herbstlichen Wälder / Von tödlichen Waffen ...“ Und am Schluß dieses Gedichts heißt es: „Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz, / Die ungebornen Enkel“.

Georg Trakl war das vierte von insgesamt sechs Kindern des angesehenen Eisenhändlers Tobias Trakl und seiner Frau Maria. Nachdem er das humanistische Gymnasium wegen mangelhafter Leistungen in Latein, Griechisch und Mathematik in der siebenten Klasse verlassen mußte, begann er eine Apothekerlehre. Noch während der Schulzeit schrieb er unter dem Einfluß von Nikolaus Lenau, Baudelaire, Paul Verlaine und Stefan George eigene Gedichte. Er schwärmte für Chopin, Liszt und etwas später – dafür um so intensiver – für Richard Wagner, ganz besonders für „Die Walküre“.

Im März 1906 erringt ein Einakter („Totentag“) einen Achtungserfolg am Salzburger Landestheater; im September desselben Jahres fällt ein weiteres Stück („Fata morgana“) allerdings durch. Seine Enttäuschung über den Mißerfolg ist so groß, daß Trakl einige Zeit nichts zu Papier bringt, statt dessen zu Morphium und anderen Betäubungsmitteln greift. Im Herbst 1908 übersiedelt der Dichter nach Wien, wo er sein Pharmaziestudium in vier Semestern absolviert. Er haßt Wien, wie alle großen Städte. Seine Lieblingsschwester Grete, die seine wichtigste Bezugsperson war und mit der er möglicherweise in einer inzestuösen Beziehung stand, beginnt an der Wiener Musikakademie zu studieren, sein bester Freund Erhard Buschbeck studiert an der Universität Jura.

Heftiger Alkohol- und Drogenmißbrauch

Nach dem Studium leistet Trakl einen freiwilligen einjährigen Präsenzdienst in Wien ab. Nach dessen Ende wird er nach Innsbruck versetzt, Schwester Grete ist unterdessen nach Berlin übersiedelt. Es folgen Anfälle schwerer Depressionen und heftiger Alkohol- und Drogenmißbrauch. Wieder in Wien lernt der menschenscheue Dichter berühmte Zeitgenossen wie Oskar Kokoschka, Karl Kraus und Adolf Loos kennen.

1913 quittiert Trakl endgültig den Dienst und kehrt nach Innsbruck zurück, wo er in Ludwig von Ficker, dem Herausgeber der Innsbrucker Halbmonatsschrift Der Brenner, einen väterlichen Freund und Gönner findet. Obwohl sich nach und nach bescheidene Erfolge einstellen, verschlimmert sich Trakls psychischer Zustand zusehends. Er leidet an der Trennung von der geliebten Schwester Grete und macht sich bittere Vorwürfe, weil er sie mit Drogen in Verbindung gebracht hat. Reisen nach Venedig und an den Gardasee bessern seinen Zustand nicht. Er spielt mit dem Gedanken auszuwandern.

Ende August 1914 wird er eingezogen und einem Feldspital in der Nähe von Lemberg zugeteilt. Die Schrecken des Krieges belasten ihn schwer. Im September verhindern Freunde ein Selbstmordversuch, daraufhin wird er in die Psychiatrie des Krakauer Garnisonsspitals zur Beobachtung eingewiesen. Am 3. November 1914 stirbt Trakl dort unter ungeklärten Umständen, wahrscheinlich an einer Überdosis Kokain.

Eine bis heute ungebrochene Wirkung

Das Werk Georg Trakls, so übersichtlich es im ersten Augenblick zu sein scheint, ist vielschichtig und widersprüchlich wie der Dichter und seine Epoche. Man kann sein Schaffen grob in vier Perioden einteilen: die Jugendgedichte bis ungefähr 1909; die Phase des Durchbruchs von 1909 bis 1912; den dritten Abschnitt bis zum Frühjahr 1914, in dem mit „Sebastian im Traum“ sein bedeutendstes, aber auch am schwierigsten zugängliches Werk entsteht. Schließlich die letzten Monate vor seinem Tod, in denen der durch Krieg und Schlachtenerfahrung in der Wirklichkeit auftretende „große Wahnsinn“ seinen Niederschlag im Werk findet.

Sein kurzes Leben, das ungeklärte Ende, die Sprachmächtigkeit und der Wortschatzreichtum seiner Texte, in denen aber praktisch kein lyrisches Ich vorkommt, haben vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg eine bis heute ungebrochene Wirkung entfaltet. Mit Oskar Loerke, Christine Lavant, Ingeborg Bachmann, Heinz Piontek und Paul Celan seien nur einige wenige bedeutende Dichter genannt, die zumindest zeitweilig unter Trakls Einfluß standen.

Georg Trakl achtete streng darauf, daß die wechselseitigen Bezüge zwischen seinem Leben und seine Dichtungen so weit wie möglich verborgen blieben. Daraus erklärt sich die kaum zu überblickende Menge von exegetischen wie auch von wissenschaftlich zuverlässigen Arbeiten über ihn und sein Werk. Zweifellos ist Trakl einer der wenigen, der auf einem Niveau mit Rilke oder Stefan George zu nennen ist.

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