© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/14 / 31. Oktober 2014

Neue Feindkontakte provoziert
Der Seekrieg 1914–1918, Teil 2: Erfolg und Tragik der deutschen U-Boot-Waffe
Rolf Bürgel

Der Erste Weltkrieg brachte eine rasante Entwicklung neuer Waffensysteme. Das waren vor allem das Flugzeug zur Aufklärung und zu Bombenangriffen, der Panzer – anfangs noch „Tank“ genannt – und in der Marine das U-Boot. Mit seiner Fähigkeit, auch unter Wasser fahren zu können und damit praktisch unsichtbar zu sein, revolutionierte das U-Boot den gesamten Seekrieg.

Die neue Waffe trat mit einem wahren Paukenschlag in die Geschichte. Am 22. September 1914 versenkte „U 9“ unter dem Kommando von Kapitänleutnant Otto Weddigen innerhalb von zwei Stunden drei britische Panzerkreuzer, die zur Sicherung der Transporte über den Kanal eingesetzt waren. England war geschockt, und selbst in Deutschland war man überrascht. Obwohl das U-Boot seine unerhörte Zerstörungskraft im Seekrieg damit unter Beweis gestellt hatte, herrschte im ersten Kriegsjahr dennoch Unsicherheit über seine Einsatzmöglichkeiten.

U-Boote lösten bei der britischen Marine Panik aus

Zunächst wurden U-Boote gegen Kriegsschiffe eingesetzt, um damit einen gewissen Kräfteausgleich als Voraussetzung einer erfolgversprechenden Seeschlacht zu schaffen. Eine weitere Aufgabe war die der Aufklärung vor den britischen Flottenstützpunkten, was nicht selten dazu führte, daß die durch den Erfolg von „U 9“ verschreckte Home Fleet bei jedem U-Boot-Alarm geradezu fluchtartig ihren Stützpunkt Scapa Flow verließ und zeitweilig sogar bis in den Atlantik auswich.

Nachdem England am 2. September 1914 die gesamte Nordsee völkerrechtswidrig zum Kriegsgebiet erklärt und damit die Blockade auch auf die neutrale Handelsschiffahrt ausgedehnt hatte, erklärte Deutschland am 4. Februar 1915 seinerseits das Seegebiet rund um die Britischen Inseln zum Kriegsgebiet und eröffnete am 22. Februar einen Handelskrieg. Beide Maßnahmen – die britische wie deutsche Kriegsgebietserklärung – waren durch geltendes Völkerrecht nach der Pariser Seerechtsdeklaration von 1856 nicht gedeckt. Deutschland sah seine Maßnahme aber als reine Reaktion auf das britische Verhalten an und damit als rechtens. Das führte natürlich sofort zu Protesten der Neutralen, vor allem der USA.

Nach den Versenkungen des britischen Passagierdampfers „Lusitania“ am 7. Mai 1915 (JF 18/05) und der „Arabic“ am 19. August 1915, bei denen auch amerikanische Staatsbürger ums Leben kamen, wurde der U-Boot-Krieg aus Angst vor politischen Verwicklungen mit den USA so stark eingeschränkt, daß er praktisch ganz zum Erliegen kam. Die folgenden Monate wurden zu einem ständigen Ringen zwischen Reichskanzler und Marineführung um die Führung des U-Bootkrieges.

Inzwischen machten sich auch die Auswirkungen der britischen Hungerblockade in Deutschland bemerkbar. Die Lebensmittel wurden immer knapper. Es gab kaum Heizmaterial. Unter diesem Druck wurde der U-Boot-Krieg im Oktober 1915 wieder aufgenommen, wenn auch streng nach Prisenordnung. Handelsschiffe mußten angehalten, ihre Ladung untersucht, bevor das Schiff versenkt werden durfte. Das U-Boot verlor damit nicht nur seine stärkste Eigenschaft: seine Unsichtbarkeit. Es setzte sich auch besonderen Gefahren aus, da die Handelsschiffe zunehmend bewaffnet wurden.

Ende 1916 machte sich in der OHL Pessimismus breit, ob der Krieg überhaupt noch zu gewinnen war, trotz äußerster Anspannung aller Kräfte – bis auf das U-Boot. Nachdem der U-Boot-Krieg schon unter den Einschränkungen bisher als recht erfolgreich eingestuft wurde, ging die Marineführung davon aus, daß England durch den uneingeschränkten U-Boot-Krieg innerhalb von sechs Monaten zum Frieden gezwungen werden konnte. Würden nur 25 Prozent der Handelsschiffe, die Lebensmittel geladen hatten, versenkt – so die Rechnung der Admiralität –, so würde das die Engländer binnen weniger Monate dem Hungertod ausliefern.

Spätere Geleitzugtaktik minderte die Erfolgsquoten

Auf die USA glaubte man keine Rücksicht nehmen zu müssen. Die USA verfügten so gut wie über keine Armee. Bis sie aufgebaut, ausgebildet, ausgerüstet und über den Atlantik in Europa zum Einsatz kommen konnte, würde der Krieg in Europa zu Ende sein. Am 9. Januar 1917 befahl der Kaiser seinen U-Booten, am 1. Februar 1917 mit dem uneingeschränkten U-Boot-Krieg zu beginnen. Der Erfolg übertraf zunächst alle Erwartungen. Eine Monatsquote von mehr als 800.000 Bruttoregistertonnen (BRT) brachte England zeitweilig tatsächlich an den Rand des Abgrunds.

Die entscheidende Wende trat jedoch ein, als sich die Engländer auf das Konvoi-System aus der Zeit der Segelschiffe besannen. Die Handelsschiffe wurden in Geleitzügen zusammengefaßt, die von Kriegsschiffen beleitet wurden. Dadurch gingen die Versenkungsziffern drastisch zurück, während die U-Bootverluste stiegen. Letztlich war damit auch dieses Schwert stumpf geworden. Als die USA ab April 1918 eine Armee mit zwei Millionen Mann samt Waffen und Ausrüstung in der Geleitzugtaktik über den Atlantik schickten, konnten sie dieses ohne eine Gefährdung durch deutsche U-Boote tun.

Wenn sie auch letztlich nicht den Sieg brachten, waren die U-Boote doch die erfolgreichste Waffe der Kaiserlichen Marine im Ersten Weltkrieg. Sie versenkte insgesamt 5.234 Schiffe mit einer Tonnage von 12.284.757 BRT, dazu noch 10 Schlachtschiffe, 18 Kreuzer, 20 Zerstörer und 9 feindliche U-Boote. Dieser Erfolg wurde jedoch mit dem Verlust von 178 U-Booten erkauft.

Am 12. Januar 1919 sagte Winston Churchill in einem Zeitungsinterview: „Darf ich es sagen? Wir sind nur so eben durchgekommen! Unser Erfolg hing an einem kleinen, dünnen, gefährdeten Fädchen! Nur ein wenig mehr und der U-Boot-Krieg hätte uns alle durch Hunger zur unbedingten Übergabe gezwungen!“

Der Erste Weltkrieg begann 1914 als „Dritter Balkankrieg“, wurde durch den Kriegseintritt der drei Großmächte Deutschland, Frankreich und Rußland dann zu einem europäischen Kontinentalkrieg. Mit dem Kriegseintritt der See- und Kolonialmacht Großbritannien standen zumindest den Westmächten die Kraftquellen weltweit unbeschränkt zur Verfügung, transportiert über die von der Royal Navy beherrschten Weltmeere. Gleichzeitig wurden die deutschen Überseezufuhren vollständig unterbunden. Daran konnte auch der U-Boot-Krieg – trotz anfänglicher Erfolge – nichts ändern. Auch die USA konnten ihre Armee nur über den Atlantik hinweg in Europa einsetzen. Das hat den Ausschlag gegeben für den Sieg der Alliierten im Westen.

Im Osten war es umgekehrt. Durch die Beherrschung der Ostsee durch die Hochseeflotte war Rußland von jedem Nachschub total abgeschnitten, was in letzter Konsequenz zum deutschen Sieg im Osten und als Folge davon zur Oktoberrevolution geführt hat. Wenn auch die letzte Entscheidung im Landkrieg gefallen ist, die Vorentscheidung dazu ist zur See gefallen.

Foto: Claus Bergen, „Das deutsche U-Boot U 53 im Atlantik“, Öl auf Leinwand 1917: „Wir sind nur so eben durchgekommen!“

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