© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/14 / 31. Oktober 2014

In fremden Uniformen
Feliks Dzierzynskis pikanter Geheimdienstskandal
Jürgen W. Schmidt

Am 5. Januar 1925 lief beim Chef der sowjetischen Geheimpolizei GPU Feliks Dzierżyński eine Sondermeldung aus dem Raum Charkow ein. Bei Jampol an der polnisch-sowjetischen Grenze hatte eine reguläre polnische Truppeneinheit in Stärke von vierzig Mann den Stab der Jampoler Grenzabteilung überfallen. Auf beiden Seiten gab es bei der Schießerei Tote und Verwundete. Wegen der sehr angespannten politischen Situation zwischen der Sowjetunion und Polen hielt der „Eiserne Feliks“ dies für den Vorboten eines größeren bewaffneten Konflikts und berichtete unverzüglich im Politbüro darüber.

Auch dort hielt man den Vorfall für sehr bedrohlich und beauftragte den Volkskommissar für Äußeres Tschitscherin, an Polen eine geharnischte Protestnote zu richten. In Polen wiederum war man erstaunt über diese Note, denn kein polnischer Truppenteil berichtete über einen bewaffneten Konflikt. Dzierżyński fühlte sich durch den Vorfall persönlich getroffen, immerhin unterstanden die Grenztruppen ihm als GPU-Chef. Er sandte seinen Stellvertreter Genrich Jagoda mit weitreichenden Vollmachten in die Sowjetukraine zwecks Aufklärung der näheren Umstände jenes unerhörten Zwischenfalls.

„Polnische Angreifer“ waren eigene Genossen

Jagoda kam dabei einem kaum glaublichen Geheimdienstskandal auf die Spur: Bei den „polnischen Angreifern“ handelte es sich in Wahrheit um bewaffnete Diversanten des militärischen Geheimdienstes der Roten Armee. Schon seit Jahren terrorisierte diese insgeheim im Interesse der Weltrevolution die Nachbarstaaten Polen und Rumänien mit Überfällen bewaffneter Banden, die dort Banken und Züge überfielen bzw. Dorfbürgermeister und Gendarmen ermordeten. Bei ihren Aktionen waren die Angreifer oftmals in polnische oder rumänische Uniformen gekleidet.

Eine solche Einheit hatte am 5. Januar 1925 den Stab der Jampoler Grenzeinheit überfallen. Möglicherweise war das geschehen, weil man die sowjetische Grenzwache irrtümlich für eine polnische hielt. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß jene Terroreinheit in der Nähe der Grenzwache in den Nachbarstaat überwechseln wollte und von den nicht vorgewarnten GPU-Grenzsoldaten wegen der polnischen Uniformen beschossen wurde. Obwohl das Politbüro nun die Wahrheit wußte, schob man die Schuld am Zwischenfall weiterhin den Polen zu und Rote-Armee-Chef Michail Frunse überstand straflos die Affäre.

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