© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/14 / 07. November 2014

„Der Bär gibt seine Taiga nicht her“
Ukraine: Schon vor dem umstrittenen Votum in den selbsternannten Volksrepubliken zeigt Moskau harte Kante
Thomas Fasbender

Der Chef der selbsternannten „Volksrepublik“ Donezk ging nach seinem Wahlsieg in die Offensive. Viel zu lange, so der mit über 75 Prozent gewählte Alexander Sachartschenko (38), habe Kiew die nach Autonomie strebenden Ostukrainer hängenlassen. Schließlich hätten die Separatisten die Sache in die eigene Hand genommen und die am 2. November abgehaltenen Wahlen organisiert.

Auch Kiew ist seitdem wieder auf Konfrontationskurs. Präsident Petro Poroschenko rief den ukrainischen Sicherheitsrat zusammen und drohte mit der Rücknahme des unlängst verabschiedeten Autonomiegesetzes. Sein Außenminister Pawlo Klimkin, der zudem neue westliche Sanktionen forderte, schloß ein Ende des Waffenstillstands nicht aus: „Die Ostukraine gehört uns. Wir werden sie uns wiederholen.“

Im Westen war schon vor den Wahlen mit Verärgerung registriert worden, daß der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärt hatte, sein Land werde das Ergebnis anerkennen. Auch in den USA und einigen europäischen Hauptstädten wurden Rufe nach einer neuen Sanktionsrunde laut.

Anhaltspunkte für eine Verhärtung der Moskauer Position lieferte Präsident Wladimir Putins Rede in Sotschi wenige Tage vor Lawrows Äußerung. Der außenpolitische Experte Fjodor Lukjanow interpretiert sie als Absage an die sogenannte Helsinki-Ordnung. Der 1975 vereinbarte Normenkatalog für das Verhältnis zwischen Ost und West, so Lukjanow, habe ein Gleichgewicht der Kräfte und gegenseitigen Respekt von Einflußzonen vorausgesetzt. Dieses Gleichgewicht sei mit dem Kalten Krieg untergegangen – weshalb der Westen seither auch keine russische Einflußzone mehr respektiere.

Von einer „europäischen Sicherheitsarchitektur“ ist dieser Sichtweise zufolge nicht viel übrig. In Moskau werden die USA, und in deren Schlepptau die EU, inzwischen als Aggressoren wahrgenommen, die mit Hilfe sogenannter „Farbenrevolutionen“ letztlich auch Rußland unter einem willfährigen Regime in den eigenen Hegemonialbereich einbinden wollen.

Im Donbass schaltet Moskau jetzt auf stur. Die expansiven Noworossija-Träume sind zwar am Mangel lokaler Unterstützung gescheitert, dafür wird die rote Linie westlich der beiden „Volksrepubliken“ zementiert. Jeder Kompromiß würde dem Kreml als Schwäche ausgelegt, und welche Gegenleistung könnte Rußland erwarten?

Nach einem Rückzug aus der Ost-ukraine läge sofort die Forderung nach Rückgabe der Krim auf dem Tisch. Doch diese ist für den ganz überwiegenden Teil der Russen sakrosankt; kein auswärtiger Druck schält sie mehr aus dem Staatsgefüge heraus. Putin in Sotschi: „Der Bär gibt seine Taiga nicht her.“

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