© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/14 / 07. November 2014

Chiffre für den tieferen Sinn
Die Schlacht „westlich von Langemarck“ im November 1914 und die Tradierung eines Opfergangs
Karlheinz Weissmann

In einem seiner programmatischen Texte aus dem Jahr 1927 entwickelt Ernst Jünger den Plan, eine Avantgarde aus nationalistischer Intelligenz und ehemaligen Frontsoldaten zu formen. Deren Aufbau sei aber keine Frage rationaler Entschlüsse oder organisatorischer Arbeit, sondern Folge eines sakramentalen Akts, den „das Blut der Gefallenen von Langemarck“ bewirke.

Diese Art der Argumentation war im Deutschland der Zwischenkriegszeit nicht ungewöhnlich. Langemarck verstand man als eine Chiffre für den tieferen Sinn des Krieges und gleichzeitig als Versuch einer Antwort auf die Frage, wie man der Gefallenen des Ersten Weltkriegs gedenken sollte. Es gab keinen Sieg zu feiern und die Ehrung des „Unbekannten Soldaten“, die in den Ländern der Entente große Unterstützung fand, wurde von den meisten als fremd und unpassend zurückgewiesen. Es blieb die Idee des Heldentodes und des Opfers, und in dem Begriff „Langemarck“ verdichtete sich beides zu einem außerordentlich eindrucksvollen Bild.

Dessen Ursprung lag in einem einzigen Satz des deutschen Heeresberichtes, der über die Kämpfe vom 10. November 1914 gemeldet hatte: „Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesang ‘Deutschland, Deutschland über alles’ gegen die erste Linie der feindlichen Stellung vor und nahmen sie“.

Die Schlacht bei Langemarck war Teil jener Gefechte des ersten Kriegsjahrs, die sich nach dem gescheiterten deutschen Vorstoß auf die Marne entwickelten. Der Rückzug der Verbände an die Aisne und der anschließende „Wettlauf zum Meer“, um vor dem Gegner die Kanalküste zu erreichen, führten zu außerordentlich verlustreichen Kämpfen, darunter auch bei dem flämischen Dorf Bixschote oder „westlich Langemarck“. Insgesamt fielen auf deutscher Seite 2.059 Soldaten, vor allem kaum ausgebildete Freiwillige der 6. Reservedivision. Es gelang ihnen zwar die französische Infanterie zurückzudrängen, aber einen tatsächlichen militärischen Vorteil bedeutete das nicht. Aus Sicht der Obersten Heeresleitung war dieser Aspekt aber auch kaum von Bedeutung. Vielmehr wollte man durch die erwähnte Formulierung, die von der Presse sofort aufgegriffen und verbreitet wurde, eine ganz bestimmte Sicht der Ereignisse festlegen.

„Hingabe der Jugend für den Fortbestand der Nation“

Ein Ziel, das erreicht wurde, obwohl es früh Zweifel an der sachlichen Richtigkeit der Darstellung des Heeresberichts gab. Die Haupteinwände lauteten, daß ein Sturmangriff unter Gesang – noch dazu des Deutschlandliedes – kaum vorstellbar sei, und daß die Soldaten kaum aus Enthusiasmus gesungen hätten, sondern um Beschuß von der eigenen Seite zu entgehen. Die Wirkung des Symbols „Langemarck“ hat das nicht beeinträchtigt.

Schon während des Ersten Weltkriegs wurde die Forderung erhoben, einen jährlichen „Langemarck-Tag“ zu begehen, und nach der Niederlage erschienen die heroisch stürmenden Kriegsfreiwilligen, die mit dem Deutschlandlied auf den Lippen siegten oder den Tod fanden, als „ver sacrum“, Hingabe der Jugend für den Fortbestand der Nation. Im Herbst 1919 fand eine erste Gedenkfeier in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche statt, zwei Jahre später gab es eine ähnliche Veranstaltung in der Potsdamer Garnisonkirche.

Zum zehnten Jahrestag führten Jugendverbände in der Rhön bereits eine zentrale Langemarck-Feier mit großer Beteiligung durch. Der Dichter Rudolf Binding hielt eine Ansprache „Deutsche Jugend vor den Toten des Weltkrieges“, die einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Auch in der Folgezeit wurde das Gedenken an Langemarck außer von Veteranenverbänden und Sportorganisationen in erster Linie durch Jugendbewegung und Studentenschaft getragen. Das hing mit der Vorstellung zusammen, die „jungen Regimenter“ hätten aus kriegsfreiwilligen Schülern und Hochschülern bestanden.

Seit 1928 wurden Langemarck-Feiern an den Universitäten zur festen Einrichtung, an der zentralen Kundgebung im Folgejahr nahmen bereits 15.000 Studenten teil, gleichzeitig führte der „Langemarck-Ausschuß“ die „Langemarck-Spende“ ein, die dazu diente, vor Ort eine würdige Gedenkstätte für die Gefallenen zu errichten, die man 1932 der Öffentlichkeit übergeben konnte.

Die Nationalsozialisten hatten zu diesem Zeitpunkt längst begonnen, Langemarck für ihre Propaganda zu nutzen. Wesentliche Neuerungen gab es nach der Machtübernahme Hitlers aber nicht, nur eine deutliche Intensivierung und strengere politische Indienstnahme. Die bestehende Tradition wurde im wesentlichen fortgesetzt, und eine Korrektur der Deutungsmuster fand nur insofern statt, als man betonte, daß es sich bei den Gefallenen von Langemarck keineswegs nur um Studenten gehandelt habe, sondern auch um Handwerker und Arbeiter, so daß weniger an einen elitären Zuschnitt, eher an eine Repräsentation der „Volksgemeinschaft“ zu denken war.

Zentrale Bedeutung hatte Langemarck für die politische Schulung der HJ, die Reichsstudentenführung vergab Stipendien im Rahmen des „Langemarck-Studiums“ (für begabte Hochschüler aus armen Familien) und veranstaltete „Langemarck-Wettkämpfe“ unter Einschluß von Disziplinen militärischen Charakters. Der „Langemarckausschuß beim Jugendführer des Deutschen Reiches“ koordinierte schließlich alle Maßnahmen, die zur Umgestaltung der Soldatenfriedhöfe in „Ehrenstätten“ beitragen sollten.

Seinen sichtbarsten Ausdruck fand dieser Prozeß der Aneignung durch das Regime 1936 mit der Errichtung der „Langemarck-Halle“ unterhalb des Glockenturms auf dem Berliner Olympia-Gelände. Der seit einigen Jahren wieder zugängliche Raum wurde nach dem Vorbild eines antiken Tempels konzipiert und mit seinem „Erdschrein“, der Erde des Schlachtfelds enthielt, zu einem zentralen Ort des nationalsozialistischen Totenkults gemacht.

Langemarck galt als Appell an die Opferbereitschaft

Die Langemarck-Halle war dabei nicht nur ein Ort der Erinnerung an die gefallenen Helden, sondern mehr noch ein ständiger Appell an die Opferbereitschaft der Jungen. Bis zu welcher letzten Konsequenz, ließ sich nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs daran ablesen, daß die Langemarck-Halle nun auch dem Gedenken an die Toten des neuen Kampfes diente. Noch in aussichtsloser Lage, im April 1945, plante man ein „Hitler-Jugend Bataillon Langemarck“ aus jungen Deutschen und Flamen aufzustellen.

Der Mythos Langemarck hatte zu diesem Zeitpunkt den größten Teil seiner Anziehungskraft schon eingebüßt. Dafür gab es indes noch andere Gründe als die Desillusionierung, die das große Sterben mit sich brachte. Jünger, der so viel Vertrauen in die Wirkung des Opfers geäußert hatte, schrieb zur gleichen Zeit, aber an anderer Stelle, daß die Gestalt „des begeisterten Jünglings, der 1914 vor Ypern mit Gesang in den Tod zog, wie schön sie auch sein möge“, längst viel zu weit entfernt sei von der Realität des modernen Krieges und jenes Kämpfertypus, der in ihm gebraucht werde.

Foto: Rudolf Diederich, Erstürmung feindlicher Stellungen bei Langemarck, Aquarell 1925 (l.); Erinnerung an Langemarck (o.) in der Regimentskapelle in der Kathedrale im walisischen Cardiff: „Junge Regimenter“

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