© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/14 / 07. November 2014

Ein überschätzter Schattenkrieger
Vor siebzig Jahren wurde Richard Sorge in Tokio gehängt / An der Legende vom „Superspion“ strickten viele mit
Jürgen W. Schmidt

Als man Richard Sorge am 7. November 1944 in Tokio zur Hinrichtung führte, ahnte er nicht, daß er dereinst als „Superspion“ gelten würde. Seine konspirativen Künste waren nämlich, entgegen allen umlaufenden Legenden, nur schwach ausgeprägt.

Der mit ihm befreundete Rundfunkattaché der deutschen Botschaft erinnerte sich viele Jahrzehnte später daran, daß man ihn 1941 aus einem Tokioter Nobelhotel angerufen habe, weil „Herr Dr. Sorge wieder mal Skandal“ mache. Er fand Sorge verschmutzt und mit Erbrochenem beklebt in der Hotellobby liegend vor und bemühte sich, ihn schleunigst ins Auto zu verfrachten. Der volltrunkene Sorge versicherte dem Attaché während der Heimfahrt unentwegt, dieser wisse nicht, wer er in Wirklichkeit sei, nämlich „Stalins größter Spion“. Der genervte Attache dachte in dem Moment nur daran, wieviel Hochprozentiges Sorge wieder mal gekippt haben mußte, um solchen Unfug von sich zu geben, und war Monate später baß erstaunt, daß dieses eine Mal Sorge nicht gelogen hatte.

Auch in der Sowjetunion hielt Stalin nicht viel von Sorge und bezeichnete ihn erbost als „Bordellbetreiber“, welcher ihn mit Falschinformationen füttere. Den Ruf als Superspion verdankte Sorge ironischerweise seinem vorzeitigen Auffliegen nebst nachfolgender Hinrichtung. Ob Sorge tatsächlich kriegsentscheidenden Einfluß hatte, ist in diesem Kontext nicht belegbar. So soll seine Information, daß Japan die Sowjetunion nicht, wie befürchtet, im Fernen Osten angreifen würde, den Abzug von Truppen aus Sibirien ermöglicht haben, die dann dazu beitrugen, den deutschen Vormarsch im Dezember 1941 vor Moskau zu stoppen. Während man nämlich in der Sowjetunion bis 1964 jegliche Spionagetätigkeit von Sorge eisern abstritt und sich zu Lebzeiten Sorges deswegen an einem Austausch uninteressiert zeigte, legte ausgerechnet ein amerikanischer Geheimdienstgeneral den Grundstein zur Sorge-Legende.

Der aus Heidelberg stammende Charles Willoughby studierte in Japan 1945/46 in dienstlichem Auftrag die Methoden sowjetischer Spionage am Beispiel Richard Sorges. Da Willoughby trotz seines militärischen Rangs kein erfahrener Geheimdienstler und der Fall Sorge wahrscheinlich der erste echte Spionagefall in seinem Leben war, imponierte ihm dessen Vorgehen mächtig. Unter Nutzung dienstlicher Erkenntnisse gab er 1952 das Buch „Shanghai Conspiracy: The Sorge Spy Ring“ heraus und begründete Sorges Ruf als „Masterspy“ in der westlichen Hemisphäre. Hinzu kam, daß Anfang der fünfziger Jahre kaum jemand ahnte, wie gut und vor allem wie vielfältig Stalin von seinen Geheimdiensten über Hitlers Angriffsabsichten 1941 informiert worden war und wie wenig gerade Richard Sorge dazu beigetragen hatte.

Nur Propaganda machte aus Sorge einen Superspion

In Deutschland versuchte zur selben Zeit eine Dame aus Sorges entfernterem Bekanntenkreis mit seinem Schicksal Kasse zu machen, indem sie sich als dessen letzte Geliebte ausgab. Eta Harich-Schneider fütterte Rudolf Augstein mit vielen Informationen, wahren und falschen, und ermöglichte ihm, im Spiegel von Juni bis Oktober 1951 die Enthüllungsserie „Herr Sorge saß mit zu Tisch“ herauszugeben. Darin wurde Sorge fälschlich als genialer Abschöpfer von Geheiminformationen beim deutschen Botschafter Eugen Ott und als Liebhaber von dessen Frau dargestellt. Frau Harich-Schneider, wegen persönlichen Fehlverhaltens in Tokio vom deutschen Botschafter Ott gemaßregelt, konnte so gleich noch ein Hühnchen mit dem ungeliebten Ott rupfen.

Doch die eigentliche „Heiligsprechung“ erfuhr Sorge zwanzig Jahre nach seinem Tod 1964 in der Sowjet-union, als man ihn nach langen Jahren des Verschweigens schließlich unvermittelt zum „Helden der Sowjetunion“ ernannte und ihn propagandistisch zum erfolgreichen Superspion mit dem heißen kommunistischen Herzen aufbaute. Damit wollte man, wie der damit betraute KGB-Offizier 2002 zugab, allen KGB-Agenten weltweit die pädagogisch wertvolle Botschaft vermitteln, daß vom KGB nichts und niemand je vergessen werde.

Heute weiß man allerdings, daß Stalins Geheimdienste und Fernmeldeaufklärer aus einer Vielzahl unterschiedlichster Quellen durchaus zutreffende Informationen über Hitlers Invasionsabsichten 1941 bezogen. Ebenso ist bekannt, daß zur selben Zeit, als der zum Tode verurteilte Sorge im japanischen Gefängnis auf seine Hinrichtung wartete, seine zweite (sowjetische) Ehefrau vom NKWD verhaftet wurde und in ein sibirisches Lager wanderte, welches sie nicht überleben sollte. Richard Sorge war kein Meisterspion, kein strahlender „James Bond“-Typ. Er war vielmehr ein zunehmend desillusionierter Alkoholiker, der zum Opfer eines ihn skrupellos verheizenden Geheimdienstes wurde.

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