© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/14 / 07. November 2014

Auf dem Laserstrahl durchs Universum
„Gesunde Mißachtung des Unmöglichen“: Einblicke in bizarres US-Zukunftsdenken
Christoph Keller

Der US-Konzern Facebook zahlt seinen weiblichen Angestellten seit Januar dieses Jahres 20.000 Dollar für die Entnahme und das Einfrieren von Eizellen, wenn sie ihren Kinderwunsch der Karriere zuliebe verschieben. Der IT-Gigant Apple folgt diesem Beispiel nun und unterstützt Mitarbeiterinnen von Januar 2015 an mit ähnlich hohen Summen bei solcher „Familienplanung“ (JF 44/14).

In der deutschen Öffentlichkeit kam die Reaktion auf das in den USA seit langem gebräuchliche „Social Freezing“ nicht über moralinsaure Reflexe hinaus. Dabei gibt es im Bundesfamilienministerium Planungen, die US-Praxis als Kassenleistung zu übernehmen, weil unter jungen Frauen große Nachfrage nach diesem angeblich „frauenverachtenden“ Modell bestehe, Karriere und Kinder miteinander zu vereinbaren (Die Zeit vom 23. Oktober).

Social Freezing nicht das erste futurologische Projekt

Andererseits übersahen die meisten Kommentatoren, daß das Einfrieren von Eizellen nur die Spitze des Eisbergs ist. Denn die US-Technologieindustrie dreht inzwischen wesentlich größere Räder, um die „schöne neue Welt“ bald zu realisieren. Allein in der FAZ (25. Oktober) ist dieser Kontext weiblicher Selbstoptimierung wenigstens skizziert worden. Alles sei „planbar und machbar“, vielleicht sogar die Unsterblichkeit. Daran arbeite man in Silicon Valley. „Social Freezing“ ist daher nur eines, und nicht einmal ein wichtiges von zahlreichen futurologischen Projekten, die, wie es der Google-Vorstandsvorsitzende Larry Page formuliert, einer „gesunden Mißachtung des Unmöglichen“ gehorchen.

Es gehe der IT-Branche längst nicht mehr darum, nur die Digitalisierung der Welt voranzutreiben. Google, Microsoft und Konsorten engagieren sich auch jenseits ihres Kerngeschäfts in der Medizinforschung, ebenso wie in Gentechnik oder Raumfahrt. Eine eigenartige Faszination übe dabei auf Leute wie Larry Page, Mark Zuckerberg oder Jeff Bezos die Aufgabe aus, Krankheiten zu besiegen und das Leben in Richtung Ewigkeit zu verlängern. So fördern etwa Zuckerberg und Google-Mitbegründer Sergey Brin seit 2013 mit einer eigenen Stiftung „Forschungsleistungen für die Lebensverlängerung“.

Am deutlichsten spricht sich dieser den „neuen Menschen“ verheißende Machbarkeitswahn aber in den Prognosen des Erfinders und Futurologen Ray Kurzweil aus, dessen Naherwartung sich auf das Jahr 2029 richtet, wenn das menschliche Gehirn mit dem Computer verschmelzen und das Bewußtsein ohne seine sterbliche Hülle auskommen werde.

Kurzweil gehört denn auch zu vielen „Visionären“, deren Utopien der in New York lehrende Michio Kaku (JF 10/10), einer der Väter der Stringtheorie, in seinem neuen Buch über die „Physik des Bewußtseins“ präsentiert. Obwohl Kaku, seit früher Kindheit ein unersättlicher Konsument von Science-fiction, sich von dem enthemmten Fortschrittsoptimismus der Planer einer Symbiose von Geist und Technik allzu unkritisch mitreißen läßt, gewährt er doch tiefe Einblicke in Mentalität und Ideologie der technokratischen US-Elite.

Möglichkeit und Wirklichkeit klaffen derzeit zwar noch grotesk auseinander, wenn Kaku in den Schlußkapiteln für das 21. Jahrhundert in Aussicht stellt, materielose, rein geistige Energie werde zunächst auf einem Laserstrahl, dann ohne diesen „Träger“ ein Multiversum von Universen durchstreifen. Physikalisch sei das kein Problem, nur mit der Technik hapere es.

Aber Ray Kurzweil prognostiziert, 2029 verfüge man über einen PC, der leistungsfähiger als das menschliche Gehirn sei. Also werde man es erfolgreich per Reverse Engineering nachbauen können. Die Maschinenintelligenz überflügele bald darauf die menschliche Intelligenz und könne sich dank unendlicher Rechnerkapazitäten in immer besseren Versionen reproduzieren. „In diesem Szenario sollen wir entweder mit unseren Schöpfungen verschmelzen oder ihnen den Weg freigeben.“

Eine Alternative zu diesen Mensch-Maschine-Monstern („Cyborgs“) soll demnächst die Nanotechnologie offerieren. Mit Hilfe atomarer Maschinen, den „Nanobots“, die in unserem Blutstrom patrouillieren, Krebszellen zerstören und sämtliche Schäden des Alterungsprozesses reparieren, blieben wir ewig jung, gesund, leistungsfähig, ohne unseren Körper, dieses „Relikt unserer evolutionären Vergangenheit“, verlassen zu müssen.

Wie Kakus Ausführungen über andere biotechnologische Entwicklungen, die das Tor zu einer „besseren Welt“ in der „postbiologischen Ära“ aufstoßen sollen, klingt die Mär von den Nanobots reichlich phantastisch. Und zudem ist zu vermuten, in Silicon Valley projektiere man die Zukunft als kosmische Ausquartierung der tristen kalifornischen Spaßgesellschaft. Denn als banales Ziel des titanischen Aufwandes, der getrieben wird, um bestenfalls menschenähnliches Bewußtsein auf die Laserstrahlreise ins All zu schicken, vermag Kaku nur die „Erkundung neuer Welten“ oder „Freizeitaktivitäten in Surrogatkörpern“ irgendwo in der Galaxie anzugeben. Preisgünstiger wäre es, um 2100 mit altersbeständigem Körper ein Fitneßzentrum in San Francisco aufzusuchen.

Hirnscans erfassen grob, was ein Mensch denkt

Ungeachtet überbordender Phantastik, weist Kaku auf eine Reihe von beinahe bodenständig wirkenden, oft vom Pentagon bezahlten Projekten hin, deren erfolgreiche Umsetzung zu futuristischen Träumereien geradezu einlädt. So erfassen Hirnscans heute zumindest einen groben Eindruck davon, was eine Versuchsperson denkt. Bis zur technisch verfeinerten Kunst des Gedankenlesens, die der deutsch-türkische Biopsychologe Onur Güntürkün (Uni Bochum) einen auf lange Zeit nicht vorstellbaren „Alptraum“ nennt (FAZ vom 22. Oktober), ist es noch weit, aber in der Neuroprothetik steuern Gelähmte mit Gedankenkraft und PC-Technik bereits Geräte. Brauchbare humanoide Roboter gab es noch nicht für das havarierte Kernkraftwerk im japanischen Fukushima.

Trotzdem ist die Robotik auf dem Vormarsch, wie Kaku anhand immer präziser operierender autonomer Kampfdrohnen zeigt. Diese intelligenten Maschinen sind inzwischen von so furchtbarer Selbständigkeit, daß 2013 eine internationale Kampagne „Gegen Killerroboter“ starken Widerhall fand.

Michio Kaku: Die Physik des Bewußtseins. Über die Zukunft des Geistes, Rowohlt-Verlag, Reinbek 2014, gebunden, 542 Seiten, Abbildungen, 24,95 Euro

Foto: Animation von Nano-Robotern bei einer Operation in der Blutbahn: Verschmelzung mit unseren Geschöpfen Silicon Valley (u.): Ideologie des Planens und Machens

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