© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/14 / 07. November 2014

Die Letzten
Politische Häftlinge in der DDR erfuhren erst spät vom Mauerfall
Henning Hoffgaard

Am 23. Dezember 1989 steht Mirko Röwer vor dem berüchtigten DDR-Gefängnis in Cottbus. Der Tag vor Weihnachten war sein letzter als politischer Häftling des SED-Regimes. 20 Mark und Zivilkleidung hatten ihm die Wärter in die Hand gedrückt. Einer von ihnen sagt noch „Tschüß“, dann ist Röwer frei.

Er findet sich in einem anderen Land wieder, erst jetzt erfährt er vom Fall der Mauer. Sieben Monate zuvor wurde er bei einem Fluchtversuch an der tschechoslowakischen Grenze festgenommen. „Wir waren völlig isoliert“, sagt Röwer nun bei einer Veranstaltung in der Stasi-Gedenkstätte in Hohenschönhausen.

„Ich konnte mir das alles nicht vorstellen.“ Er nimmt den ersten Zug nach Berlin und läßt sich von Freunden auf den neuesten Stand bringen, und traut sich kaum auf die Straße. Warum er nicht sofort in den Westen gegangen ist? „Ich war zu eingeschüchtert!“ Die Stasi werde ihn sofort wieder festnehmen. Sieben Monate als politischer Häftling reichen ihm. Röwer ist mit diesen Erfahrungen nicht allein. Während sich am 9. November tausende Deutsche in Berlin in die Arme fallen, sitzen noch hunderte politische Gefangene in den DDR-Gefängnissen. Sie bekommen nur wenig mit. Viele vegetieren isoliert in ihren Zellen. Allenfalls ein paar Gerüchte dringen durch die Mauern.

Manfred Haferburg hat da noch Glück. Er wurde bereits am 1. November aus der Untersuchungshaft entlassen. Der ehemalige „Geheimnisträger“ war, nachdem 30 Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit seine sozialen Existenz vernichtet hatten, als „Republikflüchtling“ festgenommen worden. Die Montagsdemonstrationen, der Ruf nach Reformen und Einheit hatten die Gefängniswärter verändert. Sie waren unruhiger geworden. Irgend etwas mußte draußen vor sich gehen. Am Tag seiner Entlassung wird er ein letztes Mal mißhandelt. Ein Schlag in die Rippen. „Ich wurde durch die Gänge geschleift.“ Während er mit verbundenen Augen in ein Auto geschleppt wird, lädt einer seiner Peiniger die Waffe durch. Haferburg hat schreckliche Angst. „Aber die Genugtuung wollte ich ihnen nicht geben. Ich fing einfach an, zu lachen.“ Nach einigen Stunden Fahrt wird er aus dem Auto geworfen. Er trifft eine alte Frau und fragt, wo er ist. Die Antwort ernüchtert ihn: Köpenick. Nur ein Gedanke geht ihm durch den Kopf: „Scheiße.“ Zehn Tage später ist er dann wirklich im Westen. Endlich.

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