© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

Nüchtern verhandeln
Das transatlantische Freihandelsabkommen taugt für eine Debatte, doch nicht zum Glaubenskrieg
Michael Paulwitz

Um die „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ TTIP ist ein Glaubenskrieg entbrannt, der auch das freiheitlich-konservative Spektrum erfaßt hat. Befürworter und Gegner operieren dabei mit Zerrbildern und Überhöhungen, die einer nüchternen Betrachtung kaum standhalten. Das Freihandels- und Investitionsschutzabkommen, über das die EU und die USA derzeit verhandeln, führt weder in den unvermeidlichen Totalausverkauf nationaler Standards und Interessen an das internationale Großkapital, noch ist es eine Wohlstands- und Arbeitsplatzmaschine, die einen auf Euro und Cent zu beziffernden Vorteil für jeden einzelnen Haushalt generieren kann. Es ist ein völkerrechtlicher Vertrag, keineswegs der einzige seiner Art, und jeder Vertrag ist so gut oder so schlecht, wie er in den Sachfragen ausgehandelt worden ist.

Ginge es nur um die Aufhebung der wechselseitigen Zollschranken, wäre TTIP wohl kaum der Aufregung wert. Schutzzölle sind letztlich stets Sondersteuern zu Lasten der Bürger, mit denen bestimmte Industrien oder Branchen subventioniert werden sollen. Gerade die Amerikaner, die auf der internationalen Bühne oft und gern das Hohelied des Freihandels singen, sind beim Aufrichten von Handelsschranken schnell bei der Hand, wenn es um Partikularinteressen einzelner Branchen mit gutem Lobby-Draht nach Washington geht. Vom Einreißen solcher Barrieren würde gerade eine exportstarke Volkswirtschaft wie die deutsche unterm Strich fraglos profitieren.

Komplizierter verhält es sich mit den „nichttarifären Handelshemmnissen“, um die seit Monaten gefeilscht wird. Beide Seiten haben ihre überkommenen kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Besonderheiten. Gegenstand der langwierigen Verhandlungen ist nicht zuletzt, Entbehrliches vom Bewahrenswerten zu trennen; jeder Seite, und auf europäischer auch den nationalen Regierungen, steht es letztlich frei, rote Linien zu definieren und nach Abwägung des Für und Wider für nicht verhandelbar zu erklären und auszuklammern, worauf man nicht verzichten möchte. Auch die Bundesregierung hat von dieser Möglichkeit schon Gebrauch gemacht.

Schließlich der Streitpunkt Investorenschutz und Schiedsgerichte: In der öffentlichen Aufregung wird gern übersehen, daß auch das keine neue Erfindung ist. In mehr als 130 weltweit geschlossenen bilateralen Investitionsschutzabkommen hat Deutschland in den letzten Jahrzehnten sich bemüht, deutsche Auslandsinvestitionen in anderen Ländern vor Enteignungen und obrigkeitlichen Schikanen zu schützen. Neu ist, daß willkürliches und unberechenbares Regierungshandeln, das bedenkenlos ins Privateigentum von Bürgern und Unternehmen eingreift, sich zunehmend auch in der deutschen Politik breitmacht – siehe die „Energiewende“ samt übers Knie gebrochenem Atomausstieg, mit dem sich die Bundesregierung Klagen betroffener Energieunternehmen auch aus dem Ausland eingefangen hat. Unternehmen, die gegen Staaten klagen, sind nicht automatisch und von vornherein im Unrecht. Am Ende sind es immer die Fehler der eigenen Regierung, für die der Steuerzahler geradestehen muß. Schief sind daher auch die Vergleiche mit bestehenden amerikanischen Freihandelsabkommen, bei denen die Vor- und Nachteile beispielsweise zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten höchst ungleich verteilt sind. Die EU und Amerika sind Wirtschaftsräume auf Augenhöhe, und Deutschland ist kein unterentwickeltes Schwellenland, das befürchten muß, über ungleiche Verträge von ausländischen Konzernen überrollt zu werden. Auch hier kommt es letztlich auf die Ausgestaltung der Spielregeln an.

Wenn die öffentliche Kritik mehr Transparenz in den bisher hinter verschlossenen Türen geführten Verhandlungen erzwingt, ist das zweifellos eine positive Wirkung. Richtig und notwendig war auch, die deutsche Politik an ihre Verantwortung für die Wahrung nationaler Interessen und Standards in den Verhandlungen gegenüber den Ambitionen amerikanischer Lobbys und Konzerne zu erinnern. Falsch wäre es indes, sich nun seinerseits von einer anderen Lobby vorführen zu lassen.

Der Fundamentalopposition linker Bündnisse wie Attac oder Campact, die hunderttausendfachen virtuellen Protest gegen TTIP mobilisiert haben, geht es nämlich nicht vorrangig um den Schutz von Bürgerrechten, sondern ebenfalls um Macht: um die Macht, Politik und Gesellschaft zu manipulieren und in die von ihnen gewünschte Richtung einer grünsozialistischen Ökodiktatur zu treiben, bei der selbstherrliches Staatshandeln möglichst unbehelligt von volkswirtschaftlicher Vernunft und unternehmerischen Interessen bleiben soll. Ebenso falsch wie kritikloses Durchwinken wäre es vom freiheitlichen und konservativen Standpunkt aus, sich aus antiamerikanischen Reflexen vor diesen Karren spannen zu lassen und somit das Geschäft der Ökolobbyisten zu besorgen.

Das Projekt einer transatlantischen Freihandelszone umfaßt nützliche und abträgliche, begrüßenswerte und bedenkliche Bestandteile. Als Stoff für Weltanschauungskriege eignet es sich nicht. Nach dem Abklingen der von einer professionellen und gutgeölten Protestmaschinerie hochgepeitschten Aufregung wäre es an der Zeit, die TTIP-Debatte vom Kopf auf die Füße zu stellen und sich im öffentlichen Diskurs mit den strittigen Sachfragen nüchtern zu beschäftigen. Freihandelsabkommen mit Nordamerika sind nicht per se schlecht für Deutschland; nachteilig wäre allenfalls, wenn ein schlecht verhandelter Vertrag unterzeichnet würde. Ebenso fatal wäre es vom deutschen Standpunkt, die Perspektive allein auf Nordamerika zu verengen. Während man hierzulande noch über Chlorhühnchen und Genmais streitet, hat die Schweiz bereits ein Freihandelsabkommen mit China verhandelt und in Kraft gesetzt.

Deutschland sollte bei der multipolaren europäischen Horizonterweiterung Motor sein und nicht Bremse – im eigenen Interesse.

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