© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

Der Wille ist noch lange nicht erlahmt
Katalonien: Zwei Millionen votierten unverbindlich für die Unabhängigkeit der Region, doch die Zukunft bleibt ungewiß
Michael Ludwig

Vier Fünftel Zustimmung, das ist auf den ersten Blick ein triumphaler Erfolg für den katalanischen Ministerpräsidenten Artur Mas. Der Chef der bürgerlich-nationalistischen Convergència Democràtica de Catalunya (CDC) hatte die Volksbefragung gegen den hartnäckigen Widerstand der Madrider Zentralregierung durchgesetzt.

So konnten die Katalanen am vergangen Sonntag über folgende Doppelfrage abstimmen: „Wollen Sie, daß Katalonien ein Staat wird? Wenn ja, wollen Sie, daß dieser Staat unabhängig ist?“ 80,8 Prozent aller zur Wahl gegangenen Katalanen stimmten mit Ja, zehn Prozent meinten, ein eigener Staat sei wünschenswert, müsse aber nicht zwangsläufig unabhängig sein, und 4,6 Prozent votierten gegen die Sezessionsbestrebung der politisch und wirtschaftlich so bedeutenden Provinz im Nordosten Spaniens. Der Rest der abgegebenen Stimmen erwies sich als ungültig.

Extreme Parteien verlangen härtere Gangart

Auf den zweiten Blick relativiert sich das Ergebnis, denn von den 5,4 Millionen Stimmberechtigten nahmen 2,3 Millionen an dem Referendum teil. Die Wahlbeteiligung lag deutlich unter fünfzig Prozent. Ein Großteil blieb ob der erzwungenen Unverbindlichkeit frustriert zu Hause. Dagegen boykottierten die Unabhängigkeitsgegner das Votum, schließlich handelte es sich in ihren Augen um einen illegalen Akt. Dennoch sprach Mas von einem „großen Erfolg“ und appellierte an die Welt, Madrid davon zu überzeugen, daß Katalonien ein „Referendum über seine Zukunft verdient“ habe.

Bis zum Donnerstag vergangener Woche war völlig ungewiß, ob der Urnengang überhaupt stattfinden kann. Das Verfassungsgericht hatte in einem ersten Urteil verfügt, daß Katalonien das Recht, den spanischen Staat eigenmächtig zu verlassen, nicht zusteht. Daraufhin griff die Regierung in Barcelona in die Trickkiste und erklärte, nun lediglich ein Meinungsbild herstellen zu wollen, das – im Gegensatz zur ersten Abstimmung – keinerlei rechtliche Konsequenz nach sich ziehe. Doch die Verfassungsrichter werteten den neuerlichen Anlauf lediglich als einen Aufguß des ersteren und verboten auch ihn.

Alles schien auf einen direkten und in seinen politischen Folgen katastrophalen Zusammenstoß hinauszulaufen. Drei Tage vor dem 9. November ließ Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy durch seinen Justizminister Rafael Catalá die Führung in Barcelona wissen, daß Madrid stillhalten werde, wenn die Organisation des „proceso participativo“ (Prozeß der Teilhabe) nicht von staatlicher, sondern von privater Stelle abgewickelt werde. Die Regierung wollte sich nicht dem Vorwurf aussetzen, daß sie den Katalanen verbietet, ihre Meinung öffentlich zum Ausdruck zu bringen.

Damit geriet das ganze Unternehmen zusätzlich in eine rechtliche Grauzone. Entsprechend nutzte die Union Progreso y Democracia (UPyD), eine der kleineren Parteien im spanischen Parlament, die Gunst der Stunde, um ihrem grundsätzlichen Widerwillen gegen den um sich greifenden Förderalismus in Spanien freien Lauf zu lassen, und erstattete Anzeige. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft in Barcelona wegen Ungehorsams, Amtspflichtverletzung und Veruntreuung gegen die katalanische Regierung.

Wie aber wird es nun in den Beziehungen zwischen Katalonien und dem restlichen Spanien weitergehen? Ministerpräsident Mas kündigte an, Rajoy einen Brief zu schreiben, um über eine „consulta definitiva“, also über eine endgültige Abstimmung darüber, ob die Katalanen mit dem Segen Madrids unabhängig werden können, zu verhandeln. Die Chancen dafür stehen nicht gut, denn Rajoy hat bereits erklärt, daß er zwar gesprächsbereit sei, dies aber nur innerhalb des verfassungsrechtlichen Bogens – und der schließt die Vorstellungen der katalanischen Separatisten kategorisch aus, es sei denn, sie beugten sich der Forderung des spanischen Grundgesetzes, daß nicht nur sie, sondern alle Spanier über Kataloniens politische Zukunft entscheiden.

In der katalanischen Innenpolitik dürfte es für Artur Mas schwierig werden. Sein Koalitionspartner, die Unio Democratica Catalana (UDC), ist in dieser Frage gespalten. Ihr Vorsitzender Josep Antoni Duran Lleida stimmte bei der Abstimmung am Sonntag zwar für einen eigenen katalanischen Staat, aber gegen dessen Unabhängigkeit. Dies ist mit den Vorstellungen der Esquerra Republicana Catalana (ERC) keinesfalls vereinbar, die bislang die Regierung unterstützte. Sie vertritt in dieser Frage eine besonders radikale Position. Ihr Vorsitzender Oriol Junqueras erklärte bei der Stimmabgabe: „Über die Unabhängigkeit verhandelt man nicht. Man übt sie aus.“

Kommentar Seite 2

Foto: Ministerpräsident Artur Mas im Blitzlichtgewitter: Katalonien hat es sich „verdient“, über seine Zukunft zu entscheiden

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