© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Das hat er definitiv nicht verdient: Der Heldentenor Klaus Florian Vogt muß sein Konzert in der Philharmonie vor halbleeren Sitzreihen geben. Dabei intoniert derzeit niemand Wagner-Partien wie Siegmund, Parsifal oder Lohengrin mit einem derart lyrischen Timbre wie der 44jährige, zartschmelzend und doch voller Strahlkraft. Bei seinem Berlin-Gastspiel mit der Staatskapelle Weimar unter der Leitung von Stefan Solyom singt er zwei Stücke des Ritter Stolzing aus den „Meistersingern“, Siegmunds Arie „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ aus der „Walküre“ sowie Lohengrins Gralserzählung. Das Publikum ist begeistert, einzelne Bravo-Rufe sind zu hören. Nach der Pause folgen Partien aus Friedrich von Flotows „Martha“, Mozarts „Zauberflöte“ und drei Stücke von Franz Lehár. Den Abschluß bildet Hans Mays „Ein Lied geht um die Welt“. In Erinnerung bleiben aber vor allem die Wagner-Arien.

Zwischendurch erzählt Klaus Florian Vogt launige Anekdoten aus dem Opernbetrieb, die das Publikum amüsieren. Nur das Ehepaar neben mir bleibt seltsam unberührt. Wie sich herausstellt, sind die beiden Engländer und verstehen kaum ein Wort Deutsch. Von der Gesangsdarbietung des deutschen Heldentenors sind aber auch sie angetan.

Zu den Vorzügen solcher Konzerte gehört, daß der Zuhörer nicht Gefahr läuft, mit den Auswüchsen des sogenannten Regietheaters belästigt zu werden. Noch immer gelten etlichen Regisseuren die Klassiker des Theater- und Opernbetriebs als „verstaubt“, manche, siehe Wagner, gar als „verdächtig“. Deshalb meinen sie, die Bühnenwerke „modernisieren“, den heutigen Seh- und Hörgewohnheiten anpassen zu müssen. Das Ergebnis ist meist wenig originell. „Regietheater ist heute ungefähr so avantgardistisch wie Nippel-Piercing und Arsch-Tattoo“ (Michael Klonovsky).

Das muß auch Anna Netrebko so empfinden. Die Star-Sopranistin kündigte jetzt ihr Engagement an der Bayerischen Staatsoper, wo sie an diesem Samstag (15. November) in einer Premierenaufführung die Titelpartie in Puccinis „Manon Lescaut“ an der Seite von Jonas Kaufmann singen sollte, wegen „unterschiedlicher Auffassungen des Werkes“, wie Opernintendant Nikolaus Bachler mitteilte. Für die Inszenierung zeichnet Regisseur Hans Neuenfels verantwortlich. Der 73jährige gilt als „Deutschlands zuverlässigster Skandalregisseur“ (Spiegel Online). Mit ihrer Absage hat die Netrebko nun hoffentlich ein Zeichen gesetzt, das weithin verstanden wird.

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