© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

Die falschen Rembrandts ließ das Auge Napoleons hängen
Kunstraub und Raubkunst: Eine Ausstellung im Staatlichen Museum Schwerin nimmt die letzten zweihundert Jahre in den Blick
Sebastian Hennig

Wenn ein deutsches Museum die Raubkunst thematisiert, dann richtet sich die Aufmerksamkeit der Medien fast ausschließlich auf die Verdachtsfälle von verfolgungsbedingter Enteignung während der Zeit des Nationalsozialismus. Das zeigte sich wieder bei der Präsentation der Ausstellung „Kunstraub – Raubkunst“ im Staatlichen Museum Schwerin. Im Museumscafé im Erdgeschoß gingen rasch die Sitzgelegenheiten und Pressemappen aus.

Nahezu unerschöpflich dagegen erwies sich die Geduld der Ausstellungsmacher mit dem entsprechend einseitig formulierten Interesse der Journalisten. Die Schweriner Ausstellung trägt im Untertitel einen Plural: „Fälle der Provenienzforschung in den Schweriner Museen“. Das heißt, sie will an Beispielen das gesamte verwirrende Spektrum von Kunstraub und Raubkunst während der letzten zweihundert Jahre nachvollziehbar machen. Da fehlt dann freilich auch nicht der beharrlich nachgefragte dunkle Fleck auf der Palette.

Jahrhundertausstellung löste Ankaufswelle aus

Allerdings steht ein konkret nachweisbarer Fall einer von Unrecht überschatteten Erwerbung dem Verlust von Tausenden Objekten nach 1945 gegenüber. Das betrifft ein Viertel des Vorkriegsbestandes. Kurator Torsten Knuth und die Museumsmitarbeiter erklären den darüber fast enttäuschten Fragern, wie weitläufig und unbestimmt sich Verdachtsmomente ergeben können. Ein Händler brauchte nur eine einzige Auktion mit Objekten aus vormals jüdischem Besitz veranstaltet haben und schon befindet sich sein Name auf einer Liste. Jede Erwerbung mit dieser Herkunft ist dann bereits mit dem Anfangsverdacht behaftet.

Das ist der Fall bei zwei kleinen Frucht- und Blumenstücken von Georg Friedrich Kersting. Sie wurden 1943 aus dem Leipziger Kunstantiquariat C. G. Boerner erworben, welches auf besagter Liste angeführt ist. Knuth bemerkt dazu: „Das Museum hat das angekauft und – was ich in die Runde werfen will – nicht billig.“ Denn die Auktionspreise für die deutsche Kunst stiegen in jenen Jahren stetig. Diese Tendenz wurde durch die nationalsozialistische Kulturpolitik zwar nicht ausgelöst, aber deutlich verstärkt.

Erst 1906 hatte die Jahrhundertausstellung in der Berliner Nationalgalerie die Wertschätzung der deutschen Malerei der Jahre zwischen 1775 und 1875 beflügelt und eine Ankaufswelle ausgelöst. Bereits 1941 hatte das Museum drei Zeichnungen des aus Mecklenburg stammenden Schülers von Caspar David Friedrich erworben. Diese können aber in der Ausstellung nicht gezeigt werden, da sie seit Kriegsende keiner mehr gesehen hat.

Walter Josephi, der noch unter dem Großherzog Museumsdirektor geworden war, wurde 1926 aus dem Ministerium zum Ankauf moderner Kunst geradezu genötigt. Der gewissenhafte Mann traf seine Entscheidung auf der Grundlage von Gutachten, die er von seinen Kollegen in Berlin und Dresden einholte. Da das Staatsministerium den mangelnden lokalen Bezug kritisierte, erwarb Josephi noch die Holzplastik „Das Wiedersehen“ von Ernst Barlach. Dieser Künstler wurde vom späteren Gauleiter Hildebrandt besonders gehaßt. 1935 ließ der die Skulptur aus der Sammlung entfernen. Der Hamburger Fabrikant Hermann Reemtsma hat diese dann von einem der Kunsthändler erworben, die wie der Vater von Cornelius Gurlitt, mit der Verwertung der ausgesonderten Kunstwerke betraut waren. Für die Ausstellung mußte die Plastik nun aus dem Barlach-Haus der Reemtsma-Stiftung in Hamburg geliehen werden.

Doch Barlach war damals nicht nur verfemt. Eine Woche nachdem sein „Schwebender Engel“ aus dem Güstrower Dom entfernt wurde, lud ihn 1937 die NS-Kulturgemeinde zum „Doberaner Dichtertag“ ein.

Am Beginn dieser regionalen Geschichte des Kunstraubs steht das „Auge Napoleons“. Mit Kennerblick raubte Dominique-Vivant Denon dem Kaiser eine gewaltige Sammlung europäischer Kunst zusammen. Das Museum inszeniert dazu einen Zweikampf. Zwischen den Vitrinen mit den Bildnissen von Blücher und Napoleon steht eine rote Kartonwand, in der deutsche und französische Säbel der Befreiungskriege stecken.

General Blüchers Armee wurde im November 1806 bei Schwerin von Marschall Bernadotte besiegt. Im Anschluß erscheint der „Directeur General du Musée Napoléon“ im Schloß, wo jetzt der französische Gouverneur residiert. Die Verzeichnisse rührt Denon nicht an, um per Augenschein die besten Stücke auszuwählen. So läßt er die falschen Rembrandts hängen. Auf der Rückseite eines Gemäldes ist ein Siegel des Beutemachers mit dem Doppelporträt des Kaiserpaars sichtbar. Nach der ersten Kapitulation von Paris 1814 wird eine Rückerstattung der Kunstgüter abgewiesen. Erst mit seinem erneuten Aufbruch aus Elba verspielt Napoleon diese Beute Frankreichs. Nach dem Einmarsch in Paris im Juli 1815 meint Marschall Blücher dann: „Was wir gutmütig euch das erste Mal gelassen haben, sollt ihr nicht zum zweiten Mal uns vorenthalten!“ 188 Gemälde kehren auf seine Initiative nach Schwerin zurück.

FBI ermunterte zur Rückgabe des Bildes

Eingangs der Ausstellung hängt ein durch Rotarmisten geschändetes Porträt des Herzogs Christian Ludwig II. aus der Hand des Strelitzer Hofmalers Charles Maucourt. Die Verwilderung trieb in Friedenszeiten weitere groteske Blüten hervor. Ende der fünfziger Jahre koordinierte Walter Heese vom Kulturministerium in Ost-Berlin die Verteilung von der Sowjetunion zurückgegebener Kulturgüter. Einige Jahre später, abgeschoben als Schweriner Museumsdirektor, bediente er sich selbst aus den Grafikbeständen. Er radierte die Eigentumsstempel auf der Rückseite so gründlich aus, daß er einen Kupferstich von Albrecht Dürer durchlöcherte. Andere Blätter verschenkte er. Als er aufflog verbrannte er Grafiken, um Spuren zu tilgen.

Sein Vorgänger Heinz Mansfeld war bereits 1930 beteiligt an dem devisenträchtigen Verkauf einiger Hauptwerke der Leningrader Eremitage nach New York. Später arbeitete er im Sonderauftrag für Hitlers Kunstsammlung in Linz. Als den Direktor des Landesmuseums 1959 seine Vergangenheit einholt, bringt er sich mit Zyankali um und erhält eine staatsoffizielle Trauerfeier.

Der derzeitige stellvertretende Direktor Gerhard Graulich bezeichnet die Ausstellung als „vertrauensbildende Maßnahme an Stifter und Mäzene“. Es gehe auch darum, den Nachweis der Rechtmäßigkeit der gegenwärtigen Bestände zu erbringen. Die Ausstellung sei mit „großer Lauterkeit und ernsten Absichten“ entwickelt worden. Ausstehende Fragen wolle man lösen, ohne zu kriminalisieren. Wer bemerkenswerte Aufkleber auf der Rückseite seiner Bilder entdecke, solle sich zur Rückgabe ermuntert fühlen.

Einer Ermunterung durch das FBI bedurfte es, um das „Bildnis zweier Kinder im Park“ von Adriaen Hanneman nach siebzig Jahren wieder nach Schwerin zu bringen. 2005 hatte die Magdeburger Koordinierungsstelle einen Kontakt aus den USA vermittelt. Dort hatte jemand das Bild gesehen und fotografiert. Erst im Juni dieses Jahres konnte es zurückgegeben werden. Ganz formlos erhielt die Lehrerin Doris Lipowski bereits 1992 auf einer USA-Reise von Captain Tom Graham zwei kunstvolle Fächer ausgehändigt. Der hatte sie im Mai 1945 aus dem Schloß Ludwigslust mitgehen lassen.

Die wechselvolle Geschichte der Sammlung ist vielleicht gar nicht unbedingt geeigneter als andere Museen zu einer solchen Darstellung. Aber man ist hier offensichtlich mutiger als anderswo. Dabei kommt die sinnliche Seite nicht zu kurz. Die ausgestellten Werke sind von erlesener Qualität, und das Begleitbuch nicht nur gründlich recherchiert, sondern von Torsten Knuth auch in einem sehr gewinnenden Ton verfaßt. Er löst die Geschichten nie von den Kunstwerken ab und verknüpft deren Darstellungen auf originelle Weise mit ihrem Schicksal.

Die Ausstellung „Kunstraub – Raubkunst. Fälle der Provenienzforschung in den Schweriner Museen“ ist bis zum 1. Februar 2015 in der Schweriner Galerie Alte & Neue Meister, Alter Garten 3, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr zu sehen. Telefon: 0385 / 59 58-100.Der Katalog kostet im Museum 25 Euro. www.museum-schwerin.de

Foto: Adriaen Hanneman, Bildnis zweier Kinder im Park: Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges verlorengegangen, kehrte das Gemälde aus den USA ins Staatliche Museum Schwerin nach siebzig Jahren zurück

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