© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

Mittelschichten in den Schwellenländern: Nur wenige vertreten westliche Werte
Hort des Fundamentalismus
(ob)

Strategen der „Verwestlichung“ Asiens, Südamerikas und Afrikas setzen auf die Herausbildung der „Mittelklasse“. In Schwellenländern wie China, Indien oder Brasilien wächst diese Mittelschicht tatsächlich heran. Aber daß ihr frisch erworbener Wohlstand sie automatisch für die westliche Demokratie und die Marktwirtschaft begeistern könnte, bezweifelt der aus Indien stammende, in den USA lehrende Historiker Sanjay Joshi (Welt-Sichten, 10/2014). Es gebe empirisch-soziologisch keine Anhaltspunkte dafür, daß, abgesehen von einer Minderheit, Angehörige der Mittelklasse „progressive, säkulare und liberale Ideale vertreten“. Vielmehr verfechte deren politisch engagierter Teil häufig konservative, antiliberale, intolerante und selbst fundamentalistische Anliegen. In einer Modellstudie konnte Joshi zeigen, daß „Modernität des westlichen Stils“ sich im Selbstverständnis vieler indischer Mittelschichtler durchaus vertrug mit der Verachtung niederer Kasten und religiös begründetem Nationalismus. Wenn heute etwa Economist-Kommentatoren fast marxistisch davon überzeugt seien, das Sein bestimme das Bewußtsein und die Mittelschicht trete daher schon aus Klasseninteresse für die freie Marktwirtschaft ein, müsse man nur daran erinnern, daß schon in Europa die meisten Führer des Sozialismus aus Mittelschichtfamilien stammten.

www.welt-sichten.org

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