© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Gestern noch konservativ
Marcus Schmidt

Wolfgang Bosbach erzählt gerne Geschichten. Die eine geht so: „Vor zwei, drei Jahren sitze ich an einem heißen Sommertag als Verteidiger im Gericht bei einer Strafverhandlung“, berichtet der nordrhein-westfälische CDU-Politiker. Um zu lüften, sei das Fester auf Kipp gestellt worden. Daraufhin fing dieses an zu klappern. „Da steigt die Vorsitzende Richterin auf den Stuhl, nimmt das Kreuz von der Wand und benutzt es als Fensterkeil.“ Auf Bosbachs Protest und sein Angebot hin, ihr stattdessen ein Buch zu leihen, habe die Richterin nur geantwortet: „Ein Kreuz gehört sowieso nicht in einen Gerichtssaal.“

Der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages erzählte diese Geschichte am Montag nicht allein, um sein Publikum in der Berliner Bibliothek des Konservatismus in ungläubiges Staunen zu versetzen. Ihm ging es um eine Lektion in der auch bei dieser Veranstaltung heiß diskutierten Frage von Asyl- und Integrationspolitik. „Nicht immer sind diejenigen das Problem, die zu uns kommen“, sagte Bosbach. Entscheidend sei vielmehr „unsere eigene Haltung zu unserer Geschichte, zu unserer Kultur und Tradition“. Seine Sorge sei nicht, daß zu viele in die Moschee gingen. „Meine Sorge ist, daß zu wenige in die Kirche gehen“, verdeutlichte er seinen Appell. Sätzen wie diesen verdankt Bosbach den Ruf, einer der letzten profilierten Konservativen in der CDU zu sein. Und seinem Mut zum öffentlichen Widerspruch auch in der eigenen Partei ist es zuzuschreiben, daß er niemals Minister geworden ist.

Bosbach war am Montag abend angetreten, um in der „Höhle des Löwen“, wie Bibliotheksleiter Wolfgang Fenske seine Institution charakterisierte, zu versuchen, das schwierige Verhältnis der CDU zu den Konservativen zu erklären. Das fiel ihm nicht leicht. Es war Bosbach anzumerken, daß er noch immer nach einer befriedigenden Erklärung dafür sucht, warum seine Partei in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr konservative Positionen aufgegeben hat. Er berichtete von einer Allensbach-Umfrage, nach der lediglich 14 Prozent der Deutschen mit dem Begriff „konservativ“ etwas Positives verbinden. Er könne nicht ausschließen, daß sich unter dem Eindruck solcher Zahlen in der Parteispitze die Haltung durchgesetzt habe: „Warum sollen wir uns auf diese Gruppe konzentrieren? Laßt uns doch lieber zu neuen Ufern aufbrechen.“ Bosbach hat sich diesem Aufbruch stets verweigert. Seit gut zwei Jahren ist er daher dabei, mit rund 60 gleichgesinnten Parteifreunden im „Berliner Kreis“ von der konservativen Substanz der Union zu retten, was noch zu retten ist.

Unweigerlich kommt dabei die Frage nach der AfD ins Spiel. „Ich kann meiner Partei nur ernsthaft raten, sich zu fragen, warum gehen Wähler zu dieser Partei“, sagte Bosbach. „Was vermissen sie bei anderen Parteien, was sie glauben bei der AfD zu finden?“ Keine Lösung sei es zu behaupten, alle Anhänger der neuen Partei seien Randständige oder latente Rechtsextremisten. Daß Bosbach in dieser Frage in seiner Partei noch gehört wird, darf bezweifelt werden.

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