© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

Forscher weisen Schulen die Schuld zu
Integration: Eine internationale Vergleichsstudie sieht in deutschen Bildungseinrichtungen ein Hindernis für den gesellschaftlichen Aufstieg von Ausländern
Lion Edler

Die Vorwürfe gegen die sogenannte „Mehrheitsgesellschaft“ reißen nicht ab. Nachdem erst kürzlich der aktuelle Lagebericht über Ausländer in Deutschland vorgelegt wurde (JF 46/14), sorgt nun wieder eine Studie für Aufmerksamkeit, die Einwanderer vor allem als Opfer sieht. „Pathways to Success“ (Pfade zum Erfolg) lautet die internationale Untersuchung, die den Werdegang von Zuwanderern mit schulischem Erfolg untersucht.

Allerdings ist die Datenbasis für Deutschland relativ schmal: Befragt wurden rund 70 türkischstämmige Nachkommen von Einwanderern, also die zweite Generation. Als Vergleichsgruppe dienten rund 20 Personen ohne ausländische Abstammung. Die Berufe der Befragten im Alter von 21 bis 38 Jahren verteilten sich auf die Gebiete Jura, Wirtschaft, Verwaltung und Schule.

Nach Ansicht der Studie versäumen es deutsche Schulen häufig, Einwanderer „systematisch und verläßlich entsprechend ihrer Begabungen zu fördern“. Speziell bei früheren Gymnasialschülern habe es „sehr viele Berichte über diskriminierende Erlebnisse und systematische Benachteiligung“ gegeben. Sehr viele Befragte hätten zudem „trotz guter Noten keine Gymnasialempfehlung bekommen, weil ihre Eltern sie nur begrenzt unterstützen könnten“.

Forscher fordern Quoten für leitende Stellen

Die Befragten hätten sich in ihrem Bildungsweg meistens nur dann durchsetzen können, wenn sie besonders willensstark gewesen wären oder eine spezielle Förderung durch Schlüsselpersonen wie Nachbarn oder Eltern von Schulfreunden genossen hätten. Der Schulerfolg unter sozialen Aufsteigern sei daher „sehr häufig vom Zufall abhängig“, zumal „das Thema Diskriminierung“ in der Schule „immer noch weitgehend ignoriert“ werde.

Wer einen Blick auf die Unterstützer und Förderer der Studie wirft, mag über die Motive und Interessen der Forscher spekulieren. Neben dem Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) an der Universität Osnabrück sind weitere Universitäten aus sieben EU-Ländern beteiligt. Gefördert wird das Projekt unter anderem vom Europäischen Forschungsrat (ERC), der von der Europäischen Kommission gegründet wurde. Zusätzlich unterstützt die Stiftung Mercator die Studie mit 365.000 Euro. Die Stiftung vertritt hehre Ziele: „Wir wollen Europa stärken, Integration durch gleiche Bildungschancen für alle verbessern, die Energiewende als Motor für globalen Klimaschutz vorantreiben und kulturelle Bildung in Schulen verankern“ – so steht es in einer Selbstdarstellung auf der Netzseite. Dazu paßt, was die Autoren der Uni Osnabrück in einer Zusammenfassung der Studie bereits zu Beginn schreiben: Das Projekt interessiere sich „insbesondere für den Einfluß von institutionellen Faktoren – also etwa der Offenheit einer Schule für Kinder aus eingewanderten Familien oder die Rolle von Stereotypen bei der beruflichen Einstellungspraxis – und das Zusammenspiel mit familiären Faktoren“.

Einige Schlußfolgerungen, die diese EU-geförderte Studie aus ihren Ergebnissen zieht, haben es in sich. So fordern die Wissenschaftler eine „Selbstverpflichtung auf Quoten für Personen mit nichtakademischem und/oder Zuwanderungshintergrund in der Ausbildung und bei der Vergabe von leitenden Stellen“. Immigranten müßten dazu ermutigt werden, „eine Laufbahn im öffentlichen Dienst anzustreben“. Außerdem dürfe „die Anstellung von RichterInnen und StaatsanwältInnen nicht allein auf Grundlage der Examensnoten“ erfolgen. Um die mediale „Akzeptanz von Vielfalt als Normalfall“ zu stärken, brauche es neben „Schulungen für Medienmachende“ auch „die Einführung von offiziellen Sprachregelungen mit einem gewissen Symbolgehalt (z.B. Vermeidung von Begriffen wie ‘Deutschtürken’).“ Ein „inkludierender Diskurs“ müsse „die Mehrheitsgesellschaft und ihre Diskurskonventionen“ adressieren. Da eine Verlängerung der Grundschulzeit „politisch in Deutschland zur Zeit nicht durchsetzbar“ wäre, müsse man jedoch zunächst auf „Korrekturmöglichkeiten“ bei den Schulempfehlungen am Ende der Grundschulzeit setzen.

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