© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

Der große Volksbetrug
Banken: Der ESM kann jetzt auch Steuergelder direkt an Banken verschenken, die Regierungen haben noch weniger zu sagen
Wolfgang Philipp

Weil der Kauf von Aktien vielen Sparern zu riskant erscheint, greifen sie oft zu den von Banken angebotenen Aktienfonds. Diese minimieren das Risiko dadurch, daß sie viele verschiedene Aktien kaufen. Dabei werden sie im Interesse ihrer Kunden jeweils möglichst gute, sichere und ertragreiche Aktien in ihr Sammeldepot nehmen. Das ist eine Selbstverständlichkeit.

Das Geld fließt jetzt direkt an die Banken

Am 6. November jedoch hat der Bundestag mit großer Mehrheit gegen die Stimmen von Euro-Rettungskritikern wie Wolfgang Bosbach und Klaus-Peter Willsch (beide CDU) per Gesetz den „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM) ermächtigt, einen ganz anderen Aktienfonds zu gründen: Dieser soll sich durch die Zeichnung von Aktien nicht an den besten, sondern an den schlechtesten Banken beteiligen, die er in den Euro-Staaten finden kann: Durch sogenannte Direkt-Rekapitalisierung soll er jeweils konkursreife Banken retten.

Rekapitalisieren heißt: demjenigen Geld geben, der keines mehr hat. Bisher gab es – dies wurde in Spanien umgesetzt – nur eine indirekte Rekapitalisierung von Banken in der Weise, daß der ESM dem Mitgliedsstaat ein (rückzahlbares) Darlehen gewährte, das dieser in einheimische Banken investierte.

Anders als bisher soll aber künftig der Staat dem ESM nicht mehr für die Rückzahlung der Darlehen haften. Das Geld fließt direkt vom ESM an die Bank. Und es soll viel fließen!

Bis zu 60 Milliarden Euro sind schon vorgesehen, um diesen einzigartigen Fonds zu füttern. Hohe Verluste sind also bereits eingeplant. Das Geld bleibt als Eigenkapital in den Banken gebunden, die neuen Aktien werden wenig wert sein und kaum Dividenden abwerfen.

Als Opfer der zu erwartenden riesigen Verluste sind die europäischen Steuerzahler vorgesehen, deren Geld mit derzeit 700 Milliarden Euro im Kapital des ESM steckt. Die Beteiligung Deutschlands beträgt 27 Prozent. Der ESM kann mit dieser Summe zu einem mächtigen Mehrheitsgesellschafter von Banken in ganz Europa werden.

Die daraus resultierenden Gefahren hat die CDU/CSU-Fraktion vor kurzem noch gesehen. Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Michael Meister erklärte am 26. April 2012, für die Zustimmung Deutschlands zum ESM sei entscheidend, daß keine „direkte Hilfe aus dem ESM an Banken“ angeboten werde. Solche Leistungen seien „nach langen Verhandlungen auf Druck der Bundesregierung zu Recht ausgeschlossen worden“.

SPD und Union kennen die Gefahren

Ebenso hat sich die SPD am 21. Juni 2013 durch ihren haushaltspolitischen Sprecher Carsten Schneider entschieden gegen ein solches Vorhaben ausgesprochen. Genau das Gegenteil hat jetzt aber der Bundestag auf Antrag eben dieser Bundesregierung beschlossen. Schlimmer können die großen Parteien ihre Glaubwürdigkeit nicht verspielen. Jeder deutsche Steuerzahler wird von ihnen über den Bundeshaushalt zum Zwangssparer eines Fonds gemacht, der dazu bestimmt ist, nicht Gewinne zu erzielen, sondern Verluste im Interesse von Banken anderer Staaten auf die deutschen Steuerzahler abzuwälzen. Das ist offenbar gemeint, wenn die Regierungschefin von „mehr Europa“ spricht.

Gibt es eine Haftungskaskade?

EU-weit gilt jetzt: Die Gewinne bleiben den Banken, existenzgefährdende Verluste aber gehen zu Lasten der Steuerzahler. Zwar soll die „direkte Rekapitalisation“ von komplizierten Bedingungen abhängig gemacht werden. Dazu gehört auch die Erfüllung einer von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble angekündigten sogenannten Haftungskaskade.

Dem Bundestag ist weisgemacht worden, die tatsächliche Durchführung einer Rekapitalisierung sei kaum zu erwarten, weil unter anderem zuvor die Eigentümer und Gläubiger der Banken mindestens acht Prozent der Bilanzsumme als Sanierungsbeitrag aufzubringen hätten (sogenannter Bail-in).

Das ist bei Banken ein sehr hoher Betrag. Wie das gehen soll, ist schleierhaft: Die Eigentümer haben bei Insolvenzreife der Bank allerdings ihr Geld schon längst verloren, weil das Eigenkapital durch Verluste aufgezehrt worden ist. Auch die Aktienkurse werden vermutlich gegen Null tendieren. Zu Nachschüssen oder Rettungsmaßnahmen sind die Aktionäre im allgemeinen nach dem Aktienrecht der europäischen Staaten nicht verpflichtet.

Wenn einer oder mehrere Gläubiger (dazu gehören auch alle Sparer) einen Teil ihrer Forderungen gegen die Bank verlieren, dann gilt die Bank als zahlungsunfähig und muß Insolvenz anmelden. Anderenfalls würde der Vorstand ins Gefängnis wandern.

Wenn die Regierungsbeamten das erkennen, ist abzusehen, daß die Bundesregierung und der ESM auf dieses nicht realisierbare Phantom einer „Haftungskaskade“ verzichten, das Unheil nimmt seinen Lauf. Auch wird der Regierung niemand die Behauptung abnehmen, die neuen EU-Regeln über „direkte Rekapitalisierung von Banken durch den ESM“ verhinderten wegen der vorgesehenen Bedingungen solche Rekapitalisierungen eher.

Die Parteien haben kaum noch Entscheidungsfreiheit

Es ist wie im Falle der ersten Griechenlandrettung: Kaum, daß die Möglichkeit für einen milliardenschweren Finanztransfer geschaffen worden war, da wurde das Geld auch unverzüglich abgerufen. Wahrscheinlich dürfte auch die Bankenrekapitalisierung in großem Umfange durchgeführt werden, weil dies ein fundamentales Anliegen der Banken in ganz Europa ist. Sie sind oft „systemrelevant“ und können die Regierungen deshalb erpressen.

Nur so ist der Umfall von CDU/CSU und SPD nachzuvollziehen. Sie haben angesichts der Bankenmacht anscheinend keine Entscheidungsfreiheit. Was hier abläuft, ist der bisher größte Skandal der Europapolitik überhaupt: Die Staatsbürger für die Mißwirtschaft ausländischer Banken haften zu lassen, überschreitet die den Politikern in freien Wahlen anvertraute Regierungsmacht. Das Demokratieprinzip wird dadurch grundsätzlich in Frage gestellt.

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