© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

CD-Kritik: Franco Fagioli
Unter der Eisdecke
Jens Knorr

Als 2003 mit Franco Fagioli erstmals ein Countertenor den Bertelsmann-Wettbewerb „Neue Stimmen“ gewann, da war das nicht mehr als ein Wechsel auf eine hoffnungsvolle Karriere. Den hat er längst eingelöst, und sein neues Album ist weit mehr als nur Reifezeugnis seiner Stimme. Es dokumentiert die Kunst eines der großen Sänger unserer Zeit, der unser Hören, unsere Auffassung von Gesangskunst verändert und erweitert.

Für den Counter von heute sind die Arien Nicola Porporas ein Muß. Rückte im vorigen Jahr Jaroussky dem rätselvollen Male couple von Porpora und Farinelli zu Leibe, Lehrer und Schüler, so rückt in diesem Fagioli im Verbund mit der Academia Montis Regalis unter Alessandro De Marchi den vielleicht doch unterschätzten Komponisten Porpora – inklusive Windmaschine und Donnerblech – ins Rampenlicht, Wegbereiter des Galanten Stils und doch immer auch Statthalter der Tradition.

Fagiolis mehr erd- und körperhafter denn verschwebender Stimme mit ihrem an die drei Oktaven umfassenden Tonumfang fehlt etwas von der erotischen Ambivalenz des Counters. Sie klingt bei aller Artifizialität immer männlich, auf direkte Art dramatisch. Sein Singen öffnet Türen weit auf zu neuen Räumen, die Ausdruckscharaktere Porporas auszugestalten, auch auf der Bühne. Unter der Eisdecke des barocken Status quo brodelt es heiß!

Franco Fagioli Porpora il maestro Naïve 2014 www.naïve.fr

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