© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

Dorn im Auge
Christian Dorn

Diesmal starten die „Respect Games“ vor der Haustür. An einem Stromkasten, der als wilder Plakatierungsort schon lange Gewohnheitsrecht beansprucht, überklebt ein Typ mit übergezogener Kapuze, die das Gesicht wie bei einem Kleinkriminellen verhüllt, alle gerade frisch geklebten Plakate von anderen mit großflächigen Postern für einen Yogakurs im Jahr 2015. Als er dabei ist, das erst Stunden zuvor geklebte Plakat für das Konzert der Band Pankow – den „deutschen Stones“ – am 29. November im Postbahnhof Berlin zu überkleistern und auf meine Anrufe nicht reagiert, fasse ich ihn am Arm, als er gerade die Konzertankündigung überkleben will. Unter der geheimnisvollen Kapuze erscheint ein schwarzes Gesicht, das mich in englischen Wortbrocken anherrscht: „Respect, man, respect, man!“ Daß er selbst offenbar keinen Respekt hat vor der Werbeaktivität anderer, die auch beim „wilden Plakatieren“ gemeinhin akzeptiert wird, zeigt sein Unverständnis. Andererseits ist es wohl Schicksal: Mir kommt unwillkürlich der ironische Pankow-Song „Korrekt, korrekt“ in den Sinn, in dem es heißt: „Bevor du anfäßt fragen / nicht Neger sagen / auf Nazis schimpfen / korrekt korrekt“.

Einen geradezu übersteigerten Wert auf sprachliche Korrektheit legt der Rockpoet Heinz Rudolf Kunze. In Potsdam spielt er am 9. November auf der „Deutschen Rocknacht“ von Antenne Brandenburg zu 25 Jahren Mauerfall und trägt zwischendurch einige seiner gedrechselten Verse vor, in denen er unter anderem Pankow schmäht – um anhand der Publikumsirritationen sogleich einzuschieben, daß er damit nicht den Auftritt der Band meine, die direkt vor ihm gespielt hatte. Schließlich versucht er die Besucher aus Brandenburg – „unserer kleinen DDR“ – mit sich selbst zu versöhnen in einem mißglückten Wortspiel, das in etwa wie folgt lautet: „Unrechtsstaat? Ist das dann ein Linksstaat? Doch hoffentlich kein Rechts-Staat?!“ Im Saal mit dem offenbar DDR-affinen Publikum braust augenblicklich Beifall auf. Die zeitliche Distanz von einem Vierteljahrhundert ist wohl immer noch zu kurz. Wer weiß, wonach sich mancher hier sehnt, wenn Kunze singt: „Mit Leib und Seele, zu dir zurück, nichts fehlt mir so wie du zum Glück.“

Tags darauf in der Bibliothek des Konservatismus zum Vortrag von Wolfgang Bosbach, der die Alternativlosigkeit der politischen Gegenwart schildert. Auf dem Heimweg, als die U-Bahn die Station Märkisches Museum passiert, vernimmt meine innere Stimme automatisch: Merkelsches Museum.

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