© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

Von Odin zu Christus
Der Weg zum Abendland: Zur großen Wikinger- Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau
Karlheinz Weissmann

Wikinger gehen immer, ganz gleich ob Wickie klassisch oder reanimiert, Spielfilm oder Fernsehserie, Sachbuch oder Roman, Reenactment mit Anspruch oder Mittelaltermarkt mit nordischem Einschlag – hierzulande, stärker noch im angelsächsischen Raum, mit höchster Intensität in Skandinavien. Dementsprechend wurde die große Wikinger-Ausstellung, die derzeit im Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigt wird, vorher schon im Britischen Museum in London und im Nationalmuseum in Kopenhagen, präsentiert.

Der erste große Anziehungspunkt ist dabei die Rekonstruktion von „Roskilde 6“, eines Langboots, das 1997 vor der Küste Seelands gefunden, geborgen und aufwendig konserviert wurde. Man hat die erhalten gebliebenen Teile in ein Metallgerüst eingefügt und die fehlenden Elemente entsprechend ergänzt, unter Einschluß des Großsegels, so daß das Schiff den ganzen Hauptraum des Gropius-Baus bis in seine lichte Höhe füllt.

Die Ausstellung hat damit aber nicht nur einen Blickfang gewonnen, sondern den Besucher auch mit einer bestimmten Auffassung der Wikingerzeit bekannt gemacht: das Schiff als Zentralelement der Gesellschaft der Wikinger, die es nicht nur als Transport- und Kampfmittel nutzten, sondern auch als Symbol, als Stimulans politischer und religiöser Vorstellungen. Die reichten im Norden weit zurück (was man hätte deutlicher machen können), aber sie kamen erst am Ende des 8. Jahrhunderts zur Geltung, als die Wikinger mit ihren Raubzügen gegen das restliche Europa begannen.

Wie jeden Zusammenprall der Kulturen kennzeichnete auch diesen eine gewisse Ambivalenz. Auf der einen Seite stand ein archaisches Konzept von Krieger- und Piratentum gegen das aus der Antike geborgene und mühsam wiederbelebte Konzept von Staat und Herrschaft. Auf der anderen richtete sich Heidentum gegen Christentum, ungebärdiger Selbständigkeitswille gegen Disziplinierung. Doch fast von Anfang an gab es auch friedlichen Austausch von Waren und Werten, die ursprüngliche Fremdheit wich und am Ende dieser Ära, im 11. Jahrhundert, wurde Skandinavien ein – wenngleich sehr eigenwilliger – Bestandteil des Abendlandes.

Daß der Weg dahin kompliziert war, macht die Ausstellung deutlich, indem sie nicht nur ausführlich die Bewaffnung der Wikinger und ihre Kampfesweise behandelt, sondern gleichzeitig deren Mutation zeigt, die vor allem durch den Import der hochbegehrten fränkischen Schwerter zustande kam. Gezeigt werden auch variantenreiche Beispiele dafür, wie mit Beutestücken oder erworbenen Gütern umgegangen wurde: von der Verarbeitung kunstvollster Gegenstände zu unansehnlichem „Hacksilber“ bis zur peniblen Nachprägung arabischer Münzen. Deren äußere Form imitierte man, ohne sich um die Bedeutung von Inschrift oder Bild zu kümmern, damit sie so fern ihres Ursprungsorts als Zahlungsmittel verwendet werden konnten. Weitere Beispiele reichen von der Zweckentfremdung insbesondere sakraler Gegenstände bis zur selbständigen Neufassung fremder Vorlagen in eigenen Kunstwerken, von den aufwendigen Utensilien, die man für funktionierende Handelsbeziehungen brauchte, bis zum Hort, den der Besitzer vergrub, um ihn den Erben zu entziehen.

Bruch mit der Herkunftsgemeinschaft

Am kompliziertesten erwies sich der Austausch auf dem Feld der Religion. In dem diesem Thema gewidmeten Raum werden in der ersten Vitrine die Grabbeigaben einer nordischen Hexe mitsamt Kultstäben, Amuletten und sonstigem Werkzeug gezeigt, die sie zur Ausübung ihres Berufs benötigte. Dieser Akzent ist sicher gesetzt, auch um heutigen Betrachtern deutlich zu machen, daß der germanische Glaube keiner in unserem Verständnis mit fixierter Theologie und Dogmatik war, sondern eine bestimmte religiöse Praxis, in der die Magie zentrale Bedeutung hatte. Die Fähigkeit, mit den jenseitigen Mächten in Kontakt zu treten, war gleichermaßen geachtet wie gefürchtet, das Dunkle und Unheimliche der nordischen Götter erklärt sich aus diesem Zusammenhang genauso wie das Fehlen einer Moral im Verständnis der Hochreligion. Hier ging es um „seidr“ – „Brauch“ –, was die Einflußnahme der christlichen Mission um so schwerer machte, da die Taufe eben Sittenwechsel bedeutete, das heißt nicht den Bruch mit einer bestimmten Lehre, sondern mit der Herkunftsgemeinschaft.

Solange die ein mehr oder weniger geschlossenes Ganzes bildete, blieb der Einfluß der Kirche gering. Aber die dauernde Berührung mit den fremden Vorstellungen durch die weitausgreifenden Fahrten bis nach England, Irland, Schottland, an die Küsten des Atlantiks, den Mittelmeerraum, nach Arabien, Rußland, in das Byzantinische Reich, lockerte den Zusammenhalt und ließ den Eindruck wachsen, daß die fremde eine überlegene Kultur sei, die trotz ihrer fallweisen militärischen Schwäche eine Ausstrahlung besaß, die die machtfixierten Nordleute beeindruckte. Das galt vor allem für ihre Führungsschicht, die verhältnismäßig rasch den Zusammenhang von Königtum und Christentum verstand und sich entschloß, dieses Muster auf die eigenen Verhältnisse zu übertragen.

Das ging selbstverständlich nicht ohne Widerstand ab. Doch Mitte des 10. Jahrhunderts begann man zuerst in Dänemark mit dem Aufbau eines Staates, der die Unabhängigkeit der Wikingerhäuptlinge brach und schließlich ganz aufhob. Wer nicht ausweichen konnte oder wollte, mußte sich beugen, das heißt die Taufe nehmen und die Oberhoheit des Königs anerkennen.

Prägende Kraft der Überlieferung

Zu den eindrucksvollsten Zeugnissen dieser Transformation gehört sicher der Jelling-Stein, den Harald Blauzahn mit einer Runeninschrift zum Gedenken an die Christianisierung Dänemarks setzen ließ und den die Ausstellung in einer Abformung in Originalgröße zeigt. Dabei ist nicht nur die Bildmotivik von Interesse, die das heidnische Erbe mit dem neuen Glauben verschmilzt (auf der Vorderseite der gekreuzigte Christus, dessen Gestaltung aber sehr stark an Odin erinnert, der am Weltenbaum hängt, auf der Rückseite eine Art Greif als Christussinnbild, von einer Schlange attackiert, aber nicht besiegt), sondern auch die Aufstellung zwischen den Grabhügeln, die Harald für seine heidnischen Eltern aufwerfen ließ, kombiniert mit einem Kirchbau, der als Grablege für ihn und seine Nachfahren dienen sollte.

Die letzte Phase der Wikingerzeit wird in der Ausstellung dann durch eine Balkenkonstruktion markiert, die einer nordischen Königshalle nachempfunden ist, ausgestattet mit all dem, was die neue Herrschaftsform an Glanz zu bieten hatte. Die prägende Kraft der Überlieferung blieb aber weiter erkennbar, selbst im Detail, etwa jener Schachfiguren aus dem späten 12. Jahrhundert, die man auf der Isle of Lewis gefunden hat. Da erscheinen König und Königin in mittelalterlichem Gewand, die Läufer als Bischöfe, aber die Bauern als Krieger, die in Kampfwut ihre Zähne in den Rand ihrer Schilde schlagen, wie es von den Elitekämpfern der Wikingerzeit – den Berserkern – berichtet wird.

Die Wikinger-Ausstellung ist noch bis zum 4. Januar 2015 im Berliner Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, täglich außer dienstags von 10 bis 19 Uhr zu sehen. Telefon: 030 / 2 54 86-0 Der empfehlenswerte Katalog mit 288 Seiten und 395 Abbildungen kostet 29 Euro. http://wikinger.smb.museum/home.html

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