© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

Des einen Mut, des anderen Ärger
Wie die US-Version von „Ich bin schwul, und das ist auch gut so“ die „Neue Zürcher Zeitung“ spaltet
Ronald Berthold

Er outete sich nicht nur als schwul und sagte, er sei „stolz darauf“. Tim Cook, der Chef von Apple, bezeichnete seine Homosexualität auch gleich noch als „Geschenk Gottes“. Der Jubel schien ihm gewiß. Und so kam es auch. Als sei das noch ein Grund mehr das neue iPhone zu kaufen, verneigten sich die deutschsprachigen Journalisten vor Cook und seinem mutigen Bekenntnis. Als gehöre heute Courage dazu, sich als zu seinem Geschlecht hingezogen zu beschreiben. Die Berliner Morgenpost nannte das Coming-out in ihrer Rubrik „Kopfnoten“ erwartungsgemäß „sehr löblich“ und verteilte die seltene „Note 1“. Wahrscheinlich fühlte sich der Redakteur dabei gleich auch noch wahnsinnig mutig.

Doch was heute wirklich mutig ist, zeigte die Journalistin der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), Christiane Hanna Henkel. Sie wagte in einem ausgewogenen Kommentar auch Kritik an Cooks Statement. Zwar sei es „ehrenvoll“, daß sich das Unternehmen Apple für die Rechte von Minderheiten einsetze. Jedoch: „Er ist ein herausragender Manager, aber er mißbraucht seine Macht, wenn er als Chef von einem der am meisten beachteten Konzerne der Welt seine sexuelle Orientierung zum Thema macht.“

Henkel stieß sich auch an Cooks Überhöhung von Homosexualität als Gottesgeschenk: „Sind Heterosexuelle oder generell Mehrheiten weniger beschenkt?“ Diese Frage war wirklich mutig, weil die Autorin wissen mußte, was eine solche Bemerkung bedeuten konnte. Über die Frau brach eine Welle der Empörung mit den üblichen Diffamierungen herein: „homophob!“, „intolerant!“

Das konnte NZZ-Chefredakteur Markus Spillmann natürlich so nicht stehenlassen. Er stimmte in den Chor mit ein und distanzierte sich – ganz mutig – von dem Kommentar. Bei Twitter schrieb er: „Unser Kommentar ist Fehlleistung. Kontrolle versagt. Bedaure das. Sexuelle Orientierung ist Menschenrecht.“

Damit war die heile Welt der Medien wieder in Ordnung. Eine Diskussion, warum Homosexualität ein „Gottesgeschenk“ sein soll, warum Cook darauf stolz ist – all das durfte nicht debattiert werden. Wenn jemand schwul ist und daraus einen riesigen Zirkus macht, ist nur frenetischer Applaus gestattet. Schon ein Zwischenton gilt als verdächtig. Es herrscht eine Intoleranz und Einseitigkeit, die die dabei heruntergebetete Toleranz ad absurdum führt.

Noch bezeichnender ist jedoch die Illoyalität, die bei solchen Themen zutage tritt. Galt es früher für Chefredakteure als eine Frage der Ehre, nach außen auch jene Kommentare im Blatt zu verteidigen, die nicht ihrer Auffassung entsprachen, so stehen die Verantwortlichen heute nicht mehr hinter ihren Mitarbeitern, sondern prügeln auf sie ein. Durch die fehlende Rückendeckung ist Christiane Hanna Henkel zum Abschuß freigegeben, ihre journalistische Laufbahn erledigt. Wer den Stempel „homophob“ oder „islamophob“ auf der Stirn trägt, bekommt in den Medien kein Bein mehr auf die Erde.

Da spielt es keine Rolle, ob eine Betrachtung differenziert daherkommt oder nicht. Schon eine Abwägung und Infragestellung genormter Meinung macht den Autoren zum Ausgegrenzten. Es gelten vier ungeschriebene Regeln, gegen die niemand in den Leitmedien ohne Konsequenzen verstoßen darf: 1. Frauen sind das auserwählte Geschlecht. 2. Islam ist Frieden. 3. Ausländer bereichern unsere Kultur. 4. Homosexualität ist etwas besonders Schützenswertes.

Vier Grundsätze in den Leitmedien

Schon Marion Horn, Chefredakteurin von Bild am Sonntag, fiel ihrem Stellvertreter Nicolaus Fest auf peinliche Weise in den Rücken, als dieser die Integrationsfähigkeit des Islam bezweifelte: „Bild am Sonntag hat Gefühle verletzt. Ganz deutlich: Wir sind nicht islamfeindlich! Ich entschuldige mich.“ Und Bild-Chef Kai Diekmann distanzierte sich einen Tag später in seiner Zeitung: Im Verlag Axel Springer sei „kein Raum für pauschalisierende, herabwürdigende Äußerungen gegenüber dem Islam und den Menschen, die an Allah glauben“, so der mutige Diekmann.

Wenig später folgte die Trennung vom stelllvertretenden Chefredakteur Nicolaus Fest. Der Sohn des großen Publizisten Joachim Fest wurde arbeitslos, weil er die falsche Meinung vertreten hat. Kein Einzelfall – aber auch kein Grund für deutsche Journalisten, über die Grenzen der Meinungsfreiheit nachzudenken oder gar die Kritik an anderen Ländern wie Rußland oder der Türkei in dieser Frage zu überdenken.

Journalistische Solidarität mit den Geächteten und Geschaßten gibt es nicht mehr. Wer sich vorwagt, riskiert der nächste zu sein, der nur noch unbezahlte Blogs veröffentlichen darf. NZZ-Chef Spillmann stieg mit der Desavouierung seiner Mitarbeiterin zum Helden der Branche auf.

Jochen Wegner, Chefredakteur von Zeit Online, und Katharina Borchert, Geschäftsführerin von Spiegel Online, schrieben unter Spillmanns vernichtenden Tweet gegen seine Kollegin jeweils „Danke“. Auch die beiden dürften sich bei dieser Geste sehr mutig gefühlt haben. Und dafür nun ebenfalls Dank erwarten.

Foto: Tim Cook: Die Leitmedien feiern, daß der Apple-Chef seine Homosexualität als „Gottesgeschenk“ ansieht

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