© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/14 / 28. November 2014

AfD in der Krise
Mit Vollgas gegen die Wand
Dieter Stein

Das Bild, das die Alternative für Deutschland derzeit bietet, ist ein Desaster. Die junge Partei ist drauf und dran, sich im gleichen atemberaubenden Tempo zu zerlegen, mit dem ihr beispielloser Aufstieg gelungen ist. Die Partei fährt auf eine Wand zu, und die Führung gibt Vollgas.

Offensichtlich erschöpft von den kräftezehrenden Wahlkämpfen für Bundes-, Europa- und drei Landtagswahlen droht die Partei in dem Moment zu scheitern, wenn es um ihre professionelle Etablierung geht. Im Zentrum steht der faktische Parteichef Bernd Lucke, der formal bis jetzt die Führung mit zwei weiteren Bundessprechern, Frauke Petry und Konrad Adam, teilt. Lucke, zwischen Brüssel und Berlin pendelnd, kämpft um die Stärkung seiner Rolle, fordert über eine Satzungsänderung die Reduzierung der Führung auf einen klassischen Parteivorsitzenden mit Stellvertretern und einen starken Generalsekretär, der ihn entlastet.

Am kommenden Wochenende trifft sich die Satzungskommission zu einer entscheidenden Sitzung. Wenige Tage davor explodierte jedoch der Kessel, aus dem es schon seit Wochen bedrohlich pfiff. Wechselseitig werfen Vorstandsmitglieder sich öffentlich parteischädigendes Verhalten vor, Lucke wird als „Kontrollfreak“ angegriffen, er selbst droht zum wiederholten Mal damit, sich als Sprecher zurückzuziehen. Kollegialität und Solidarität sind verdampft, Spaltung und Untergang liegen in der Luft.

Die erste Wahl in einem westdeutschen Bundesland, dem Stadtstaat Hamburg, könnte so Anfang Februar zum Wendepunkt werden. Umfragen zeigen derzeit Werte unterhalb der Fünfprozenthürde. Von einer sich in Grabenkriegen zerfleischenden Partei wenden sich Wähler angewidert ab. Geschlossenheit und eine klare Führung gehören nun mal zum Einmaleins der Parteipolitik.

Die AfD ist als „Partei des gesunden Menschenverstandes“ gestartet. Im Moment entwickelt sie sich zur „Partei der Unvernunft“ und des Chaos. Normalerweise müßte nach dem anderthalbjährigen erfolgreichen Parforceritt und stetig wachsenden Wahlergebnissen die Parole lauten: „Never change a winning team“, wechsele nie eine erfolgreiche Mannschaft. Es ist für Außenstehende nicht mehr nachzuvollziehen, weshalb so schnell Disziplinlosigkeit, Mißtrauen und Selbstüberschätzung überhandnehmen konnten. Es wird sich jetzt zeigen, ob sich diese aus Liberalen und Konservativen vereinigte Kraft als politikfähig erweist oder nicht. Scheitert die AfD an dieser Herausforderung, dann scheitert nicht nur einfach eine Partei – es wird auch für Jahrzehnte die mutmaßlich letzte Chance gewesen sein, eine ernstzunehmende bürgerliche Alternative zum etablierten Parteiensystem durchzusetzen. Es wäre eine große Niederlage für die Demokratie.

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