© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/14 / 28. November 2014

Die Handschrift der Linkspartei
Thüringen: Der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag liest sich wie ein Wunschzettel linker Gesellschaftsingenieure
Christian Schreiber

Der Vertrag, der die Bundesrepublik Deutschland verändern soll, ist 105 Seiten lang. In der vergangenen Woche haben die Landesspitzen von SPD, Grünen und Linkspartei ihre Vereinbarungen der ersten rot-rot-grünen Koalition unter Führung der Linkspartei vorgestellt.

Am 5. Dezember tritt der Landtag in Thüringen zusammen, um den neuen Ministerpräsidenten zu wählen. Dabei verfügt „r2g“ nur über eine Stimme mehr als die CDU und AfD. Sollte die Mehrheit stehen, wird Bodo Ramelow Nachfolger von Christiane Lieberknecht (CDU). Bei der Präsentation des Vertrages in Erfurt ergingen sich die Neu-Koalitionäre in den üblichen Floskeln. Man wolle „nicht alles anders, aber doch vieles besser machen“, lautete ein Satz.

Und in der Tat unterscheiden sich die Pläne deutlich von denen der Vorgängerregierung. So will das Linksbündnis ein kostenfreies Kita-Jahr einführen, öffentliche Beschäftigung fördern und mehr Geld für nichtstaatliche Schulen ausgeben. Für die Finanzierung werde unter anderem das Landeserziehungsgeld abgeschafft. „Wir wollen Thüringen demokratisch, sozial und ökologisch erneuern und dabei den Spagat wagen, kein Geld auszugeben, was wir nicht haben“, kündigte die Landesvorsitzende der Linkspartei, Susanne Hennig-Wellsow an. In den kommenden fünf Jahren werde es keinen Haushalt mit neuen Schulden geben. Bis 2016 werde zudem ein Personalentwicklungskonzept für die Verwaltung im Freistaat vorgelegt. Bis 2019 wolle die Koalition eine umfassende Verwaltungs- und Gebietsreform in Thüringen umsetzen.

Der Koalitionsentwurf trägt dabei deutlich die Handschrift der Linkspartei. So soll unter anderem der Verfassungsschutz grundsätzlich reformiert werden, sogenannte V-Leute nur noch in Ausnahmefällen – wie zur Terrorismusbekämpfung – eingesetzt werden. Die Passage „künftig sollen Personen nicht mehr allein aufgrund ihrer politischen, religiösen und weltanschaulichen Auffassungen zum Gegenstand grundrechtseinschränkender Maßnahmen gemacht werden“, läßt allerdings viel Raum für Spekulationen.

Mehr Geld für „Kampf gegen Rechts“

Wenig überraschend ist die Tatsache, daß das bisherige Landesprogramm für Toleranz in ein Programm gegen „Rechtsextremismus, Homophobie und Antiziganismus“ umgewandelt und um eine Million Euro aufgestockt werden soll. Der Kampf gegen den Rechtsextremismus nimmt in dem Papier breiten Raum ein, das Wort Linksextremismus kommt dagegen nicht einmal vor: „Die in der Vergangenheit vielfach dokumentierte Diskreditierung zivilgesellschaftlich und antifaschistisch Engagierter einerseits sowie die Verharmlosung der Gefahren durch Neonazis durch deren Gleichsetzung andererseits werden wir beenden“, heißt es in den Vertrag. Ein Satz, der direkt aus dem Wahlprogramm der Linkspartei stammen könnte.

Wenig überraschend ist auch die Tatsache, daß die neue Regierung eine „menschenrechtsorientierte Flüchtlings- und Integrationspolitik“ ankündigt. „Angesichts der aktuellen Entwicklung in vielen Teilen der Welt müssen wir davon ausgehen, daß immer mehr Menschen bei uns Zuflucht suchen werden“, heißt es. Rot-Rot-Grün wird zunächst einen generellen Abschiebestopp in Thüringen verhängen, der nach dem Aufenthaltsgesetz „aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen“ möglich sei. Asylbewerbern soll außerdem „ein unbürokratischerer Zugang zur medizinischen Versorgung verschafft werden“.

Als Vorbild dient dabei das „Bremer Modell“. In der Hansestadt bekommen Asylbewerber seit 2005 eine Krankenkassenkarte und müssen sich keinen Krankenschein beim Sozialamt holen. Außerdem soll es aber auch einen anonymisierten Krankenschein „für Menschen ohne Papiere“ geben. Darüber hinaus plant r2g auch eine Strukturreform der Polizei, bei der „die Erkenntnisse aus dem NSU-Untersuchungsausschuß“ einfließen sollen. Bewerber mit Migrationshintergrund werden ausdrücklich begrüßt, der von Schwarz-Rot angestrebte Stellenabbau solle zumindest 2015 ausgesetzt werden. Die Polizeibehörden sollen eng mit den Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus und den „Opferverbänden von rechter Gewalt“ zusammenarbeiten.

In der Familienpolitik bietet das Papier ebenfalls typische linke Projekte. Es wird eine „absolute Gleichstellung aller Lebensweisen“ gefordert, „darauf wird auch symbolisch an landeseigenen Gebäuden während des jährlichen Christopher Street Days (CSD) hingewiesen“.

In der Schule sollen künftig Themen wie die „besondere NS-Geschichte Thüringens“ stärker behandelt, Kinder mit Migrationshintergrund besser gefördert und Rechtsextremismus intensiver thematisiert werden. Außerdem soll der Thüringer Bildungsplan von null bis 18 Jahre auch unter Berücksichtigung der Gleichstellung von sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität fortgeschrieben werden. Diese „Frühsexualisierung von Kindern“ hatte zuletzt in Baden-Württemberg für erbitterte Proteste gesorgt. Immerhin: Die Koalition bekennt sich zu den vom SED-Regime begangenen Verbrechen in der DDR und kündigt „eine intensive und konsequente Aufarbeitung“ an.

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