© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/14 / 28. November 2014

Grüße aus Tokio
Von wegen Kaufrausch
Albrecht Rothacher

Schon bei der ersten Verbrauchssteuererhöhung auf fünf Prozent im Jahr 1998 waren die japanischen Hausfrauen in den Einkaufsstreik getreten. Dies war um so bemerkenswerter, als das Shoppen und Schnäppchenjagen eigentlich zu ihren Lieblingsbeschäftigungen zählt. Die Konjunktur brach empfindlich ein, und neue schuldenfinanzierte Bauprogramme wurden aufgelegt, um jenen Einbruch aufzufangen.

In diesem April war angesichts der explodierenden Staatsschulden auf 240 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und nach 17 Konjunkturprogrammen eine neue Steuer-erhöhung auf acht Prozent fällig. Es kam, was kommen mußte.

Zuvor wurden schnell noch neue Autos und Kühlschränke gekauft, aber auch Zahnpasta und Klopapier für die kommenden Monate gehortet. Die Regierung erwartete eine Normalisierung bis zum Juli, wenn jene Hygieneartikel aufgebraucht sein würden. Doch dauert der Konsumstreik, bis jetzt – also Ende November – weiter an. Aufs Jahr hochgerechnet schrumpft die Wirtschaft damit um 1,6 Prozentpunkte.

Außer einigen Friseuren und Lebensmittelläden fand es keiner lohnenswert, aufzusperren.

Tatsächlich können Japans alternde Verbraucher sicher noch jahrelang ohne größere Anschaffungen auskommen. Die engen Wohnungen meiner japanischen Freunde sind bis zur Decke vollgestopft mit langlebigen Gütern aller Art. Die Kleider- und Küchenschränke sind übervoll. Mehr als drei Fernseher und zwei Kühlschränke passen nirgendwo mehr hin. Für jedes neugekaufte Buch müssen sie ein altes aus dem Bücherschrank räumen.

In Tokio, wo die Kaufkraft doppelt so hoch ist wie im Rest des Landes und das weiter wie ein Magnet auf die Jungen Japans wirkt, merkt der auswärtige Besucher wenig. Doch in der Provinz ist es definitiv anders.

Mit meiner Frau machte ich eine Fahrradtour über die Seto-Inseln. Das wunderbare Herbstwetter lockte, und warum nicht einmal jene tollen Brückenkonstruktionen mit ihren Fahrradwegen nutzen?

Es war herrlich, die Menschen freundlich und hilfsbereit – wie immer in der Provinz. Meine Frau wollte ihren halbleeren Koffer mit den attraktiven Keramiken und Textilien füllen. Doch waren nicht nur in den Kleinstädten, auch in den Präfekturhauptstädten Matsuyama und Takamatsu alle Geschäfte geschlossen. In den Einkaufsstraßen fand es außer einigen Friseuren, Optikern und Lebensmittelläden niemand mehr lohnenswert, überhaupt aufzusperren.

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