© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/14 / 28. November 2014

Der Flaneur
Kneipen wie in der Ostzone
Andreas Harlaß

Auf Wanderschuhen mit dem Rucksack unwegsames Gelände erklimmen; 20 Chemnitzer, zehn Männlein, zehn Weiblein, alle um die 50, waren der Einladung zweier Ex-Sachsen gefolgt, die bereits vor dem Mauerfall in den tiefsten Südwesten, nach Baden zogen, dort neue Existenzen aufbauten. Drei Tage also in alten Zeiten schwelgen, feiern und wandern.

Alte Truppe wieder vereint, die Laune aller beschwingt, die ungemütliche Außentemperatur ignoriert. Dann der Abschluß­abend in einer Straußenwirtschaft (Weingaststätte) am Kaiserstuhl. „Wir sind gegen 19 Uhr da, etwa 20 Mann“, hatte der eine unserer Gastgeber lange vorher in der Wirtschaft angekündigt. „Geht klar“, so die Wirtin.

Eine Wirtshauskeilerei zwischen Badenern und Sachsen liegt in der Luft.

Der Tisch war bestellt, Wein, Bier, Wasser gereicht. Danach bestellte jeder Essen. Einfache Kost, wie üblich. Die Mägen kurz über den Fersen, nach sechs Stunden des Marsches zur Katharinenkapelle. Nach einer halben Stunde erste, noch sanfte Nachfragen, wo denn das Essen bliebe. Ein Ochsenmaulsalat mit Brot kann ja nicht so lange dauern. Unmutiger schon nach einer Stunde.

Nach anderthalb Stunden Wartezeit brechen die ersten schimpfend auf. Nach zwei Stunden ohne Futter nur noch ein fluchendes, hungriges Häuflein am Tisch. Die Wirtin schnippisch: „Hab eben viel zu tun.“ Unser Gastgeber zu ihr: „Sie wußten aber doch, daß wir kommen.“

Nach zweieinhalb Stunden Warten wird’s tumultartig, worauf uns der Stammtisch beschimpft: „Dann haut doch ab.“ Männer und Frauen an beiden Tischen springen auf, brüllen sich an. Eine Wirtshauskeilerei zwischen Badenern und Sachsen liegt in der Luft, worauf eine Schweizerin, die auch nichts zu essen bekam, beide Tische beschwichtigt. Bei diesem lustigen Dialekt wird jeder einfach etwas friedlicher. Unser heimischer Gastgeber kündigte seiner Stamm-Strauße an dem Abend die Freundschaft, inklusive weiterer Besuche. Und einer der angereisten Sachsen sagt laut: „Jetzt haben die im Westen Kneipen wie wir damals in der DDR.“ Gelächter.

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