© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/14 / 05. Dezember 2014

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Berlin sucht den deutschen Snowden
Marcus Schmidt

In Berlin geht die Angst um. Die Angst vor einem deutschen Edward Snowden. Diesen Eindruck vermitteln jedenfalls Meldungen, die Bundesregierung wolle mit einer Strafanzeige gegen Unbekannt Ermittlungen gegen Bundestagsabgeordnete und Regierungsmitarbeiter provozieren, die ähnlich wie der ehemalige Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes NSA Snowden mutmaßlich allzu freizügig mit geheimen Informationen aus Kanzleramt und Ministerien umgehen.

„Es hat in den vergangenen Wochen immer wieder Situationen gegeben, in denen Dokumente, die eigentlich nur an bestimmte, dafür vorgesehene Gremien gehen sollten, auch an die Öffentlichkeit gelangt sind“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz am Montag in Berlin. Es sei eine etwas beschwerliche Aufgabe, diese Dokumente, die eben nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien, unter Verschluß zu halten, schilderte Wirtz vor der Bundespressekonferenz die Nöte im Regierungsviertel. Derzeit würden mehrere Optionen geprüft, um die Situation zu verbessern. Ob am Ende Strafanzeige gestellt wird, wie der Spiegel zuvor berichtet hatte, sei noch nicht entschieden.

Die aktuelle Diskussion hat einen konkreten Hintergrund. Ende Oktober war aus dem geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium durchgesickert, daß der Bundesnachrichtendienst prorussische Separatisten für den Abschuß des Malaysia-Airlines-Fluges MH17 am 17. Juli über der Ukraine verantwortlich mache. Eine Information, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Das gleiche galt für die ebenfalls Ende Oktober durchgestochene Meldung, das Bundesamt für Verfassungsschutz habe zunehmend Schwierigkeiten, in der rechtsextremistischen Szene V-Leute anzuwerben. Für besondere Aufregung hatte in Regierungskreisen im September der Bericht eines Spiegel-Reporters über geheime Pläne der Nato zur verstärkten Luftraumüberwachung im Baltikum gesorgt.

Im politischen Berlin wird die Drohung mit dem Staatsanwalt von Beobachtern als gezielter Einschüchterungsversuch verstanden. Das mußte Anfang Oktober auch der Obmann der SPD im NSA-Untersuchungsausschuß, Christian Flisek, erfahren. Laut Süddeutscher Zeitung war dem Politiker in einer geheimen Sitzung vom Vorsitzenden des Gremiums, Patrick Sensburg (CDU), vorgeworfen worden, in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten aus geheimen Akten zitiert zu haben. Flisek bezeichnete die Vorwürfe als „Quatsch“ und dem Obmann der Grünen im Ausschuß, Konstantin von Notz, war der Vorgang ein Beleg dafür, wie „absurd die Geheimniskrämerei der Bundesregierung ist“.

Auch wenn die Vorwürfe schließlich im Sande verliefen, dürfte der Vorfall nicht ohne Folgen bleiben. Ein Abgeordneter wird sich künftig zweimal überlegen, welche Informationen er in Hintergrundgesprächen an Journalisten weitergibt. Die Bundesregierung dürfte damit ihrem Ziel nach mehr Geheimhaltung ein Stück näher gekommen sein.

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