© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/14 / 05. Dezember 2014

Pankraz,
Thomas Leif und die Macht der Lobbyisten

Von Thomas Leif, dem bekannten Radio- und Fernsehmann, stammt die Kennzeichnung der sogenannten Lobbyisten als der „fünften Gewalt“ im modernen Staat, neben den klassischen drei Gewalten Legislative (Parlament), Exekutive (Regierung), Judikative (Gerichtswesen) und der vor Jahr und Tag hinzugekommenen vierten Gewalt, den Medien. Die Lobbyisten seien nun also die fünfte Gewalt, niemand könne das mehr übersehen. Oder sind sie vielleicht sogar schon die erste?

Lobbyisten, so Leif in seinem Buch „Beraten und verkauft“, seien von Haus aus weder Parlamentarier noch Minister, noch Richter, noch Journalisten, doch sie übten inzwischen eine Macht aus, vor der man sich richtig fürchten müsse, gerade wegen der mangelnden Transparenz und Kontrollierbarkeit ihres Berufsstandes. Man könne sie für nichts verantwortlich machen, denn sie seien ja nicht einmal ordentlich eingetragene Berater („Consulter“), sie seien im Grunde illegal freischaffende Werbefuzzis, die für irgend etwas oder irgend jemand Reklame machten – und dafür stattlich bezahlt würden.

Genau betrachtet stimmt selbst der Vergleich mit Werbefuzzis und sonstigen PR-Gestalten nicht. Gewöhnliche Werbefuzzis machen Reklame für handfeste Produkte, deren – vermeintliche oder klar zutage liegenden – Vorzüge grell und aufdringlich in der Öffentlichkeit vorgezeigt werden. Der Lobbyist seinerseits meidet das Grelle, Aufdringliche und allzu Öffentliche; seine Art von Öffentlichkeit ist das Halbdunkel, das Informelle, das zunächst in der Schwebe Bleibende. Er macht vorzugsweise Stimmung für Sachen, noch bevor es diese Sachen überhaupt gibt.

Mittlerweile engagieren auch Technikkonzerne oder Kaufhausgruppen hochdotierte Lobbyisten, doch deren eigentliches Feld ist nach wie vor ein Spezialbereich der Politik, nämlich das Stimmungmachen für oder gegen irgendwelche Großprojekte oder Strategiewechsel, das Herstellen haltbarer, belastbarer persönlicher Beziehungen zwischen denen, die etwas zu entscheiden haben, zum Beispiel zwischen Großinvestoren und führenden Politikern, Gewerkschaftsführern. Medienfürsten, einflußreichen Meinungsmachern.

Ursprünglich waren es (daher ihr Name) Leute, die sich in der „Lobby“ herumtrieben, also in den Vorhallen, Foyers und Wandelgängen wichtiger Entscheidungszentren, wo sie den umlaufenden Gesprächen zuhörten und hin und wieder – scheinbar wie nebenbei, in Wirklichkeit jedoch scharf geplant – ein eigenes Urteil einfließen ließen, in die Richtung etwa, daß die Zustimmung zu einem geplanten Vorhaben den Zustimmern viel Geld einbringen könnte, wenn man die Sache nur elegant und diskret behandle.

Heute, im Zeitalter der brüllenden Indiskretionen und des offenen, völlig ungenierten Profitstrebens, nimmt man es mit Eleganz und vornehmer Maskierung natürlich nicht mehr so genau. Es gibt inzwischen zahlreiche schlichte Interessenverbände, die sich ganz ungeniert „Lobbygruppen“ nennen, und die wissenschaftliche Politologie bemüht sich seit Jahren krampfhaft darum, den Lobbyismus zu „rationalisieren“, will sagen: zu einem ganz gewöhnlichen, erlernbaren und registrierbaren Berufsstand herunterzuinterpretieren. Aber merkwürdig: Das Geschäft gelingt nicht. Am Ende kommen nur Phrasen heraus.

Beim großen Publikum war und ist der Begriff des Lobbyismus negativ konnotiert. Dabei räumt man durchaus ein, daß der typische Lobbyist ein vielseitig begabtes Individuum sein muß, daß er die Vorlagen, für die er Stimmung macht, bis ins letzte Detail kennen und daß er darüber hinaus ein raffinierter Psychologe sein muß, der über diverse Bewußtseinslagen genau Bescheid weiß. Er muß charmant und schauspielerisch begabt sein. Mit einem Wort: Er muß ein großer Materiekenner und gleichermaßen ein großer Menschenkenner sein.

Im Grunde ist der Lobbyist eine durch und durch informelle Figur, die schon immer da war und trotzdem nie in ein Herrschaftssystem oder ein soziologisches Wissenschaftsschema einzuordnen war. Aber gerade dadurch löst er jetzt Mißtrauen auf breitester Front aus. Lobbyisten gelten durch die Bank als moralisch unzuverlässig. Ein Mann oder eine Frau, die Dinge und Vorgänge professionell aus dem Halbdunkel heraus anpreisen beziehungsweise madig machen und dabei oft gar mit Geldscheinen winken, geraten schnell in den Verdacht schlimmer Korruption.

Tatsächlich dreht sich die bisherige politologische Literaur zum Thema Lobbyismus denn auch ganz überwiegend um dessen Verhältnis zur Korruption, und es gelingt den Autoren nicht, hier klare Abgrenzungen zu finden. Nicht nur Thomas Leif, sondern auch Soziologen und Politbeobachter wie Florian Eckert, Thomas Faust oder Andreas Geiger beklagen ausführlich die rasante Ausbreitung und Ausdifferenzierung des Lobbyismus, wie sie derzeit stattfindet. Und ihr französischer Kollege Paul Virilio hat auch schon das Mantra für die Misere geliefert: „Lobbyismus = Stimmungsdemokratie = Korruption“.

Das Gegenwort zur Stimmungsdemokratie ist die Meinungsdemokratie. Unser Herrschaftssystem entwickelt sich offenbar konsequent aus einer einstigen (wenigstens partikulären) Meinungsdemokratie in eine bloße Stimmungsdemokratie; die etablierten Parteien und andere mächtige Entscheidungsträger richten sich nur noch nach aktuellen diffusen Stimmungslagen, wie sie in albernen Talkshows ausgebreitet werden. So darf man sich nicht wundern, wenn die Lobbyisten als professionelle Stimmungsmacher zur fünften und vielleicht sogar führenden Macht aufsteigen.

Dieser Vorgang ist verfassungswidrig und führt gewiß nicht zu besseren Häusern. Das öffentliche Unbehagen an der fünften Gewalt und dem Phänomen „Stimmungsdemokratie = Korruptionsherrschaft“ ist bereits da und wird immer stärker. Was noch fehlt, ist die Einsicht der drei klassischen Gewalten, daß hier dringender Handlungsbedarf besteht. Denn mit bloßer Stimmungshuberei ist kein Staat zu machen.

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