© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/14 / 05. Dezember 2014

Marv sinnt auf Rache
Kino: Der Kriminalfilm „The Drop – Bargeld“ beleuchtet hintergründig auch die multikulturelle Gesellschaft
Claus-M. Wolfschlag

Gute Filme besitzen unter der Oberfläche ihrer Handlung noch eine tiefere Ebene, auf der sich philosophische oder gesellschaftspolitische Fragen verdichten. Der diesen Donnerstag in den Kinos anlaufende Film des belgischen Krimi-Regisseurs Michaël R. Roskam ist demnach ein sehr guter Film.

Das ist insofern rasch spürbar, als der Plot vergleichsweise unklassisch erzählt wird, sich oft im Fragmentarischen verliert; Personen treten auf, Ereignisse geschehen, ohne daß sie kompliziert in ihren Einzelheiten erklärt werden müßten. So erhält der Blick der beteiligten Menschen, der ja immer ein begrenzter ist, seine Authentizität. Und dadurch wird der Blick des Zuschauers auf die Tiefenebene um so leichter. Es ist auch ein Blick auf die Entwicklung der multikulturellen Gesellschaft und das mögliche Ende des weißen Mannes.

Erzählt wird aus dem Blickwinkel des geistig etwas schwerfällig wirkenden, aber gutmütigen Barkeepers Bob Saginowski (Tom Hardy), der in einer kleinen Bar im New Yorker Stadtteil Brooklyn arbeitet. Betrieben wird der Laden von seinem windigen Cousin Marv; übrigens die letzte Rolle des 2013 verstorbenen „Sopranos“-Darstellers James Gandolfini. Einst gehörte Marv die Bar, doch längst haben Zuwanderer, die skrupelloser und brutaler sind, das Etablissement unter ihre Kontrolle gebracht. So mußte Marv vor Jahren das Eigentum an einen tschetschenischen Familienclan überschreiben und darf seitdem als Betreiber nur noch die Vasallenrolle einnehmen.

Die Tschetschenen nutzen die Bar als „money drop“, als eine Art Depot zur Aufbewahrung und Wäsche illegal erwirtschafteter Gelder. Während Bob sich längst mit der Situation arrangiert hat, sich mit seinem jungen Hund und einer neuen Damenbekanntschaft beschäftigt, sinnt der alternde Marv immer noch auf Rache für seinen Verlust. So bedient er sich einiger Bekannter aus dem „white trash“, der weißen Unterschicht, um den Tschetschenen durch einen fingierten Überfall ihr Geld in seiner eigenen Bar zu rauben. Das Scheitern des Unterfangens offenbart nur erneut die Schwäche des weißen Mannes gegenüber der neu entstandenen Gewalthierarchie. Währenddessen stochert die Polizei im Nebel herum ...

Enttäuscht dürfte nur sein, wer einen rasanten Actionstreifen erwartet. Roskams Film ist ruhig erzählt, tendiert stark in Richtung Sozialdrama, besticht aber durch eine stets glaubwürdig erzählte Handlung ohne die bei Hollywood-Streifen häufigen Anschlußfehler und Unstimmigkeiten. Zudem sind die schauspielerischen Leistungen ausnahmslos hervorragend.

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