© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/14 / 05. Dezember 2014

Ein tragisches Leben
Gespaltene Existenz: Vor 150 Jahren wurde die französische Bildhauerin Camille Claudel geboren / Schwierige Beziehung zu Auguste Rodin
Sebastian Hennig

Für ihre ersten Versuche im Modellieren soll sich die am 8. Dezember 1864 geborene Camille Claudel aus einer Tongrube der dörflichen Umgebung versorgt haben. Bereits als Zwölfjährige äußerte sie den Wunsch, Bildhauerin zu werden. Als die Familie in die Kleinstadt Nogent-sur-Seine (Region Champagne-Ardenne) umzieht, fördert sie der dort wirkende Bildhauer Alfred Boucher. Mit noch nicht siebzehn Jahren erhält sie Unterricht an der Académie Colarossi, wo später auch Paula Modersohn-Becker während ihres Paris-Aufenthalts studieren wird. Im eigenen Atelier wird sie weiter durch Alfred Boucher unterwiesen.

Porträts dieser Zeit, vom 13jährigen Bruder als Römer und der „alten Helene“, zeigen bereits den ausgeprägten eigenen Zug ihrer Kunst. Boucher macht sie 1883 mit Auguste Rodin als neuem Mentor bekannt. Der sagt von ihr: „Eine geniale Frau (das Wort ist nicht zu stark)“. 1885 wird sie formell seine Werkstattgehilfin. Beide profitieren wesentlich voneinander in den folgenden fünfzehn Jahren.

Es gibt eine Art Partnerschaftsvertrag vom 12. Oktober 1886, aufgesetzt mit Hilfe ihres Bruders Paul Claudel, des nachmaligen Diplomaten und Schriftstellers. Rodin soll keine anderen Schülerinnen annehmen, wichtige Aufträge ihr zur Ausführung überlassen, ein halbes Jahr mit ihr auf Reisen gehen und sich für ihr Werk einsetzen.

Rodin ist aber seit langem einer Frau verbunden, die ihm in schweren Zeiten treu zur Seite stand. Camille hat als Muse, Geliebte und Mitarbeiterin nicht nur ein Doppelleben geführt. Ihre Existenz war mehrfach gespalten. Sie wohnt offiziell noch bei den Eltern, während der Freund sie in die geistigen Kreise von Paris einführt, wo sie ohne Vorurteile als seine Gefährtin angenommen wird. 1888 erfährt sie die erste eigene Anerkennung. Darauf laden die dankbaren Eltern Rodin ein, der in Begleitung seiner Lebensgefährtin Rose Beuret erscheint. Als dadurch die wahre Natur der Beziehung offensichtlich wird, kommt es zum Bruch mit ihrer Familie.

Während Rodin in den Fußstapfen Michelangelos zu großen Entwürfen mit metaphorischer Aussage strebt, erschöpft sich Claudels Beobachtungsgabe in einem subjektiven Realismus. So legt sie ihren ganzen Ausdruck in die Hände und Füße für Rodins große Arbeit „Die Bürger von Calais“. Doch im Gegensatz zum Modelleur Rodin war sie auch eine Bildhauerin und meißelte ihre und seine Skulpturen aus dem Marmor. Sie strebt nach unbedingter Selbständigkeit und verläßt darum Anfang der 1890er Jahre das gemeinsame Atelier.

Doch erst 1898 bricht sie jeden Kontakt zu Rodin ab, der sie auch in der Trennung noch protegiert hatte. Er erwirkt 1895 einen Staatsauftrag für sie. „Das reife Alter“ ist eine theatralische Inszenierung. Ein alternder Mann reißt sich los von der vor ihm knieenden weiblichen Figur. Der Bruder der Künstlerin deutete die Figur später pathetisch: „Die Flehende, gedemütigt Knieende, meine stolze, großartige Schwester Camille, wissen Sie, was sich in dem Moment vor Ihren Augen von ihr losreißt, ihre Seele.“

1905 hat sie eine letzte große Ausstellung in Paris. Sie wähnt sich als Opfer einer Verschwörung Rodins und zerstört im Furor große Teile ihres Werkes. Der für sie so wichtige Bruder weilt in den entscheidenden Jahren auf fernen Botschaftsposten. 1913 wird sie durch ihn in die Nervenheilanstalt von Montdevergues in Vaucluse eingewiesen. Dort stirbt sie erst 1943.

Zu einer Kunstfigur des Kintopp klischiert

Dreißig Jahre nach ihrem Tod fand sie dann als eine Schmerzensfrau der Künste erneute Beachtung. Wieder war es nicht die eigenständige künstlerische Leistung, die sie dem emanzipatorischen Pathos jener Jahre interessant machte. Es ging um ihre Rolle als Opfer der männlichen Ausbeutung und der Psychiatrie. Genau besehen läßt sich jedoch weder dem Freund und Mentor noch dem Bruder oder den Ärzten ein Vorwurf machen.

Hundert Jahre nach dem ersten Erfolg als eigenständige Künstlerin ersteht sie wieder als Projektion der Leinwand. Isabelle Adjani verkörperte über nahezu drei Stunden eine vor allem bildhübsche Bildhauerin, neben der Gérard Depardieu als Rodin dezent hinter seinem Bart verschwindet. Die Adjani ließ den Film von ihrem damaligen Lebensgefährten Bruno Nuytten um sich herum inszenieren. Damit wurde Camille Claudel zu einer Kunstfigur des Kintopp klischiert, wie Vincent van Gogh und Paul Gauguin durch Kirk Douglas und Anthony Quinn.

Die Tragödie dieses Lebens ist nicht allein das Verhängnis einer Einzelperson. Sie wurde in ihrer Liebe von Rodin mitgerissen, so wie sie ihn hingerissen hat zu seinen besten Werken. Es ist ein quälendes Paradox, daß sie mit der Hingabe an ein fremdes Werk den Höhepunkt des eigenen Schaffens erreichte. Gerade als Vollstreckerin von Rodins gewaltigen Entwürfen war sie ihrer künstlerischen Selbstfindung am nächsten. Ihr erstes großes Werk trug den Titel „Die Hingabe“ (1887). Noch heute spekulieren Fachleute darüber, welche Stücke an Rodins monumentalem „Höllentor“ von ihr geformt wurden. Ein derartiges Zusammenwirken bedeutender Meister an einem Werk hatte es seit der Barockkunst nicht mehr gegeben.

In Frankreich zeigt das Musée de la Piscine de Roubaix, 23 Rue de l‘Espérance, bis zum 8. Februar 2015 eine Ausstellung zu Camille Claudel („Au miroir d‘un art nouveau“). www.roubaix-lapiscine.com

Foto: Camille Claudel (l.) und ihre englische Kollegin Jessie Lipscomb im Atelier in Paris: Dreißig Jahre in einer Nervenheilanstalt

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