© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/14 / 05. Dezember 2014

Die Wahrheit trägt ein Feigenblatt
Heimkehr und Vertreibung: Eine Ausstellung in der Ostdeutschen Galerie Regensburg widmet sich den Prager Jahren des Malers Oskar Kokoschka
Sebastian Hennig

Der Sohn des Prager Goldschmieds Wenzel Kokoschka konnte sich nicht in die Ausübung des väterlichen Berufs hineinfinden. So siedelte er 1864 nach Wien über. Sein Sohn wiederum wird siebzig Jahre später zurückkehren. Oskar Kokoschka wurde vom hochbetagten Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik persönlich eingeladen. Er porträtiert Tomáš Garrigue Masaryk im Sommer 1935 auf Schloß Lany. In Österreich bereits ungelitten, wollte er über Rußland weiter nach China reisen. Doch die alten Wurzeln schlagen aus. Er lernt seine spätere Frau kennen und bleibt für Jahre in Prag wohnen. Am 30. Juli 1938 leistet er den staatsbürgerlichen Eid vor dem Magistrat und wird tschechoslowakischer Staatsbürger. Erst am 18. Oktober geht er mit Olda Palkovská über Rotterdam nach London. Die Bilder jener Jahre und deren Verzweigungen ins spätere Werk zeigt die Ausstellung in der Ostdeutschen Galerie in Regensburg.

Der Maler hat den gebrechlichen Mann gut getroffen. Der Präsident schaut ein Jahr vor seinem Tod bereits sehr abwesend in die Welt. Das Porträtgemälde wird zu einem Historienbild. Da verbrennt Jan Hus im Konstanzer Scheiterhaufen. Der Blick gleitet über die Dächer und Türme Prags. Größer als die Hauptperson selbst hält Jan Amos Komensky seine Schrift „Via Lucis“ dem Betrachter entgegen. Während der Sitzung unterhalten sie sich über den Bischof der Unitarier. Sie fesselt des Comenius’ Idee einer internationalen Volksschule als Vorahnung des Völkerbunds. Der Maler, der zugleich ein Autor ist, sammelt Stoff zu einem Comenius-Drama. In Regensburg ist ein Bühnenentwurf von 1957 zu sehen. Der große Pädagoge begegnet darauf in Amsterdam dem Maler Rembrandt. Ergänzend sind Farbstiftzeichnungen zum „Comenius“ sowie Lithographien aus dem Mappenwerk von 1975 zu sehen.

Münchner Abkommen eine Verschwörung

Kokoschka wollte sich nie zum Zeiger für eine politische Richtung machen. Als der Kunstprofessor in Dresden während des Kapp-Putsches die Beschädigung eines Rubens-Gemäldes öffentlich beklagt hatte, beschimpften ihn die wilden Polit-Dadas als „Kunsthure“. Ohne selbst ein Emigrant zu sein, wurde er in Prag zu einer ikonischen Bezugsperson auch derer, die ihn früher angegriffen hatten. Während seines Aufenthalts versammeln sich die emigrierten Literaten um einen Bert-Brecht-Club, die Theaterschaffenden um die Hans-Otto-Gruppe und die Maler im Oskar-Kokoschka-Bund. Das erinnert fast an einen Kulturhausbetrieb aus sozialistischen Zeiten. Kokoschka ist Namensgeber und zugleich die wichtigste Randfigur. Auch für die tschechischen Künstler war die Autorität des berühmten Ausländers nützlich. Sie machen ihn zum Mitglied der nationalen Künstlervereinigung Mánes.

Der begleitende Katalog mit ausgewogenen Texten von deutschen und tschechischen Kunsthistorikern stellt die Bezüge heraus, die in der Ausstellung nur angedeutet sind. Für den Maler ist das Abkommen der Westmächte mit Hitler nichts anderes als die Münchner Verschwörung. Sein individueller Einspruch trifft die politischen Machenschaften. Heute hängt seine gemalte Karikatur um „Das rote Ei“ (1940) in der Prager Nationalgalerie.

„Der Chamberlain-Kreis brauchte die Hitlersaga ...“, meint Kokoschka. In der Ausstellung zeugt davon die Studie einer Krabbe. Sie inspirierte ein gleichnamiges Gemälde, auf dem sich das riesige Tier mit dem Rücken zu einem ertrinkenden Schwimmer aufbaut. Schriftlich äußerte er dazu, daß „der Schwimmer die Tschechoslowakei und die Krabbe Chamberlain darstelle, der lediglich eine Schere ausstrecken müsse, um diesen vor dem Ertrinken zu retten, und der sich dennoch nicht rührt“.

Staatsbürgerschaft durch Beneš-Dekrete aberkannt

Auf der Rückseite einer Fotografie einer anderen politischen Allegorie, „Anschluß – Alice in Wonderland“ (1942), steht mit Blick auf die zögerliche Haltung der Alliierten: „Die Wahrheit darf nicht genannt, gehört noch gesehen werden, obwohl sie ein Feigenblatt trägt, aber Wien kann ruhig abbrennen und die Kinder dort verhungern. Dies stört auch heute noch die Großmächte nicht, die ihre Generalpolitik ruhig weiterbetreiben.“

Mit einer Farblithographie fordert er 1937 die Tschechen auf, den baskischen Kindern während des Spanischen Bürgerkriegs zu helfen. Als Vorahnung deutet er unter dem Flugzeug die Silhouette von Prag an. Es sollten dann amerikanische Bomber sein, welche im März 1945 noch Industriebezirke von Prag in Schutt legten und damit den kalten Krieg bereits im heißen Krieg anfingen.

Zu Weihnachten 1945 ließ der Künstler ein Plakat drucken und in der Londoner U-Bahn anbringen. Es zeigt einen Jesus am Kreuz, der sich zu den Kindern herabbeugt. Auf dem Querbalken wird auf die Kinder Europas verwiesen, die wegen Hunger und Kälte an diesen Festtagen sterben. Während der Kampf um die Seelen der Besiegten mit Brot und Zucker beginnt, appelliert Kokoschka – ohne jeden Hinweis auf Spenden oder Hilfsaktionen – allein an das menschliche Gewissen. Das Plakat hat sich weltweit verbreitet, bis nach Südamerika.

Seine Staatsbürgerschaft bekam der Künstler 1948 durch die Beneš-Dekrete wieder aberkannt. Beneš habe „aus dem befreiten Jerusalem der Tschechoslowakei eine Parodie“ gemacht, sagt Kokoschka. Wenn die Tschechoslowakei auch nicht länger sein gelobtes Land bleibt, ihr Schicksal beschäftigt ihn weiter. Das zeigen die Skizzen zum Gemälde „Zwei Frösche“ (1968). Diese hocken blöde vor einer untergehenden Sonne. Auf der Rückseite des Gemäldes steht geschrieben: „Europes Sunset 1968 Prague 23 8 68“.

Gleich zu Beginn seiner Anwesenheit wurde eine Stadtlandschaft aus dem Atelier des Künstlers über eine Ausstellung bei seinem Galeristen Feigl direkt für die Nationalgalerie angekauft. Die schönsten Bilder der Ausstellung sind ohne Zweifel die bewegten Stadtansichten, von denen ein zeitgenössischer Rezensent begeistert kündete, sie seien „wie aus lodernden Fahnen aufgebaut … von fabelhafter visueller Stärke.“ Kokoschka hatte ein nervöses Empfinden für das Besondere des Ortes.

Die Ausstellung „Oskar Kokoschka und die Prager Kulturszene“ ist bis zum 1. Februar 2015 im Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Dr.-Johann-Maier-Straße 5, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Do. bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 09 41 / 2 97 14-0

Danach wird sie vom 20. Februar bis 28. Juni in der Nationalgalerie Prag gezeigt. Der Katalog (Wienand Verlag) mit 160 Seiten kostet 29,80 Euro

www.kunstforum.net

Foto: Oskar Kokoschka, Blick vom Moldauufer auf die Kleinseite und den Hradschin III, Öl auf Leinwand, 1936: Der Maler wurde zur Rückkehr nach Prag vom Präsidenten der Tschechischen Republik eingeladen

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