© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/14 / 12. Dezember 2014

Wie eine Massenbewegung die Politik vor sich hertreibt
„Pegida“: Die Parteien reagieren verstört auf die Demonstrationen in Dresden
Henning Hoffgaard

Licht in der Dunkelheit. Erst sind es nur ein paar Dutzend. Dann einige hundert. Am Ende halten Tausende ihre Handys und Feuerzeuge in den Dresdener Nachthimmel. Dann rufen die Teilnehmer „Wir sind das Volk“. Ein junges Mädchen fragt etwas ungläubig: „Wie cool ist das denn?“

Pegida („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) ist am Montag das gelungen, woran selbst im Umfeld der Initiatoren gezweifelt wurde. Sie stellten mit etwa 11.000 Demonstranten einen Teilnehmerrekord auf. Seit acht Wochen demonstriert Pegida montags in der sächsischen Landeshauptstadt, und jede Woche steigt die Zahl der Anhänger. Erstmals nun meldete Cheforganisator Lutz Bachmann (siehe Interview Seite 3) keine Demonstrationsroute durch die Innenstadt an, sondern nur eine stationäre Kundgebung. In der Woche zuvor hatten etwa 200 Linksextremisten mehr als 7.500 Pegida-Anhänger blockiert.

„Wir sind nahe an den Deutschen“

Die Polizei räumte nicht. Laut Bachmann hätten sich zudem Geschäftsleute über Umsatzeinbußen und gesperrte Straßen beschwert. „Wir sind immer nah an den Leuten“, sagt Bachmann. Deswegen seien die Organisatoren dem Wunsch nachgekommen. Sollten die Geschäftsinhaber wirklich aus Sorge um das Geld gehandelt haben, wurden sie am Montag bitter enttäuscht. Statt einer Pegida-Demonstration schlängelten sich gleich sechs Anti-Pegida Protestzüge durch die Innenstadt und sorgten für ein Verkehrschaos.

Aufgerufen zu den Gegenprotesten hatten die Kirchen, die jüdische Gemeinde, die Dresdener Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU), mehrere Ausländerorganisationen, das linksextreme Bündnis „Dresden Nazifrei“ die Dresdener Universitäten, die Gewerkschaften, SPD, Grüne, Linkspartei, Piraten sowie der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU). Besonders die evangelische Kirche kritisierte die Demonstration scharf: „Pegida ist ein ausländerfeindliches Demonstrationsbündnis, das die Angst vor islamischem Terrorismus benutzt, um gegen die Aufnahme von Flüchtlingen Stimmung zu machen“, teilte die Arbeitsgemeinschaft „Kirche für Demokratie“ mit.

Laut Polizeiangaben beteiligten sich 9.000 Personen an den Gegenkundgebungen. Ohne Passanten dürften es am Ende eher 6.000 bis 7.000 gewesen sein. Darunter auch zahlreiche Linksextremisten. Für Stadt, Kirchen und Parteien war der Montag dennoch eine Niederlage. Es ist den Organisationen nicht gelungen, mehr Menschen auf die Straße zu bringen als Pegida.

Deren Redner kritisierten dann auch heftig die Gegendemonstration. „Da merkt man, daß einige Politiker nicht aus der DDR-Zeit herausgekommen sind“, empört sich einer der Sprecher. Wer da genau redet, weiß kaum jemand. Außer Bachmann ist bisher keiner der Organisatoren namentlich in Erscheinung getreten.

Was also treibt Woche für Woche Tausende Bürger auf die Straße? Obwohl es in den Redebeiträgen häufig um Islamismus und radikale Islamisten geht, einigt vor allem ein Thema die Pegida-Teilnehmer: die Asylpolitik. „Jeden Tag lese ich in der Zeitung, daß Schwimmbäder geschlossen werden müssen“, empört sich ein älterer Herr. „Die meisten Asylbewerber sind doch gar keine wirklich Verfolgten, die kommen nur wegen dem Geld.“ Der Applaus ist besonders dann groß, wenn die Redner schärfere Gesetze gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“ fordern. Islamisten sind für viele nur ein Symbol der gescheiterten Einwanderungspolitik. Ein Holländer warnt, die derzeitige Entwicklung bedrohe vor allem Homosexuelle, Frauen und andere Minderheiten. In einigen niederländischen Städten würden Moslems bereits nach eigenen Gesetzen leben. „Die Gefahr wird von der Politik kleingeredet.“ Der Applaus ist ihm sicher.

Nachdem sich die Pegida-Demonstration aufgelöst hat, kommt es zu Szenen, die durch mehr als 1.200 Polizisten eigentlich verhindert werden sollten. Dutzende teilweise vermummte Linksextremisten rennen den heimkehrenden Pegida-Teilnehmern hinterher und beschimpfen sie. Die Polizei versucht hektisch eine Sicherheitskette zu bilden und wird an einigen Stellen überlaufen.

Erst nachdem einige der anwesenden Fans des Fußballklubs Dynamo Dresden auf die Antifa-Anhänger zurennen, ziehen die sich hinter die herbeigeeilten Polizisten zurück.

Auch in anderen Städten wird demonstriert

Der zunehmende Erfolg von Pegida hat auch die Bundespolitik auf den Plan gerufen. „Die Grenze ist erreicht, wenn Menschen in ihren Grundrechten beschnitten werden“, heißt es in einer Erklärung der SPD-Bundestagsfraktion.

Bundesjustizminister Heiko Maaß (SPD) rief am Dienstag zu einem breiten politischen Bündnis gegen Pegida auf. „Auch im politischen Meinungskampf gibt es Grenzen. Alle politischen Parteien sollten sich klar von diesen Protesten distanzieren.“ Unterstützung bekommt Maaß dabei vom Vorsitzenden des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU). „Man sollte sich nicht für extreme politische Ziele instrumentalisieren lassen, die man selbst nicht teilt“, warnte Bosbach, der in den vergangenen Jahren selbst immer wieder vor radikalen Islamisten in Deutschland gewarnt hatte. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, forderte, Merkel müsse Pegida verurteilen. „Rassismus ist keine Meinung“, unterstrich Mazyek. Zudem stärkten Demonstrationen gegen die Islamisierung auch den Antisemitismus in Deutschland.

Dagegen ringt die Alternative für Deutschland, die genauso wie Pegida ein Einwanderungsmodell nach kanadischem Vorbild fordert, noch um ihre Positionierung zu den Demonstrationen in Dresden. Während die Parteisprecher Frauke Petry und Konrad Adam die Pegida-Teilnehmer in Schutz nahmen, zeigte sich Vizechef Hans-Olaf Henkel skeptisch. Er riet den AfD-Mitgliedern von einer Teilnahme ab. Es wäre besser, „sich individuell zu engagieren, indem man zum Beispiel Amnesty International beitritt“. AfD-Chef Lucke lobte die Pegida-Demonstrationen. „Sie zeigen, daß sich diese Menschen in ihren Sorgen von den Politikern nicht verstanden fühlen.“ Die Initiatoren dürften jedoch keine Zweifel daran lassen, daß auch Religionsfreiheit und Toleranz zum Abendland gehörten.

Unterdessen haben sich auch in anderen Städten Pegida-Bündnisse gebildet. In Düsseldorf demonstrierten ebenfalls am Montag etwa 500 Anhänger und 1.000 Gegendemonstranten. Zudem haben sich in Bochum, Bonn, München, Würzburg, Rostock, Kassel und Ostfriesland Gruppen gebildet. Sie mobilisieren vor allem über die sozialen Netzwerke. Auch für Berlin wurden bereits Demonstrationen angekündigt. Ob die auch wirklich stattfinden, weiß niemand. Eine Facebook-Seite ist schnell eingerichtet. Eine echte Kundgebung dagegen ist schwieriger zu organisieren.

Hochburg jedoch dürfte auch in den kommenden Wochen Dresden bleiben. Pegida-Chef Bachmann kündigte bereits an, auch um die Weihnachtsfeiertage herum weiter zu demonstrieren. Zumindest die Aufmerksamkeit der Politik hat er nun.

Film über die Demonstration:

www.youtube.com/jungefreiheitverlag

Foto: „Pegida“-Demonstration am Montag in Dresden (oben), Polizisten halten linksextremeistische Gegendemonstranten ab: Islamrat erwartet Machtwort von Bundeskanzlerin Angela Merkel

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