© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/14 / 12. Dezember 2014

Lieben Sie Deutschland?
Integration: Eine Studie stellt Einwanderern die Frage nach ihrem Patriotismus
Lion Edler

Die Fahnenmeere bei den Fußball-Weltmeisterschaften haben einiges verändert. Ganz Deutschland scheint langsam patriotisch zu werden. Ganz Deutschland? Nein, eine unbeugsame Gruppe von Sozialwissenschaftlern hört nicht auf, Widerstand zu leisten. Das „Erstarken nationaler Bezugspunkte“ führe nämlich dazu, daß sich immer mehr Deutsche „stereotyp und abwertend“ über Muslime äußerten. So steht es in einer aktuellen Studie des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung („Deutschland postmigrantisch“), das an der Berliner Humboldt-Universität angesiedelt ist. In der vergangenen Woche stellte das Institut gemeinsam mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), erste Ergebnisse vor. Mit 8.270 Befragten ist die Datenbasis zwar solide – doch die Aussagen und Schlußfolgerungen der Studie sind teilweise abenteuerlich.

Der erste Teil der Analyse widmet sich „Narrationen des Deutschseins“. Hierzu fragten die Forscher nach der Meinung zur Aussage „Ich liebe Deutschland“. Dies wurde immerhin von 86 Prozent der Befragten „ohne Migrationshintergrund“ bejaht (mit „Migrationshintergrund“: 80,7 Prozent). Für 47,1 Prozent der Befragten „ohne Migrationshintergrund“ war es zudem „wichtig“, daß „die anderen mich als Deutsche oder Deutschen sehen“ (mit „Migrationshintergrund“: 47,4 Prozent).

Eine andere Frage: „Wenn Sie an Deutschland denken: Welches historische Ereignis beschreibt für Sie am besten dieses Land?“ Am häufigsten wurde darauf mit dem Mauerfall und der Wiedervereinigung geantwortet (48,8 Prozent). In der Tatsache, daß nur 15,9 Prozent ein Ereignis zum Themenkomplex „Nationalsozialismus/Zweiter Weltkrieg“ nannten, sieht die Studie den Beleg, daß die „vorherrschende Wahrnehmung“, wonach Deutschland „bis heute lediglich eine negative Identität und kontinuierliche Schuldgefühle aufgrund des Holocaust habe“, empirisch nicht mehr aufrechterhalten werden könne.

Steil werden die Thesen, wenn es um Muslime in Deutschland geht. Personen, die die nationale Identität betonen, neigen nach Auffassung der Forscher zu einer islamkritischen Haltung. So meinten 54,8 Prozent dieser Personen, daß der Bau von öffentlich sichtbaren Moscheen „eingeschränkt“ werden müsse; bei den Personen ohne Betonung der nationalen Identität waren es nur 35,2 Prozent.

AfD, FDP und Piraten tauchen nicht auf

Außerdem hätten auch nur 41,4 Prozent derer, die die nationale Identität betonen, sich dafür ausgesprochen, daß muslimische Lehrerinnen im Unterricht ein Kopftuch tragen dürfen (Befragte ohne Betonung der nationalen Identität: 54 Prozent). Aus solchen Zahlen ziehen die Forscher den Schluß, daß starke nationale Identifikation zu einem „konkreten Ausschluß einer religiösen Minderheit“ aus dem „nationalen ‘Wir’“ führen könne.

Weitere Ergebnisse zum Bild des Islams: 26,5 Prozent meinen, daß Muslime aggressiver seien als sie selbst; 30,1 Prozent glauben nicht, daß muslimische Eltern „genauso bildungsorientiert wie wir“ seien. Das klingt pauschalisierend – aber was soll auch herauskommen, wenn die Befragten diese Aussagen nicht differenziert beantworten können? Gehen die Autoren der Studie also genauso pauschal vor, wie sie es einem Teil der Befragten vorwerfen? Jedenfalls leiten sie aus ihren Erkenntnissen einen ungeheuerlichen Vorwurf ab: Personen mit solchen Einstellungen seien ein „Resonanzboden“ und ein „wahrgenommener gesellschaftlicher Rückhalt“ für „Anschläge auf Moscheen und Haßattacken auf muslimische EntscheidungsträgerInnen“.

Eine andere Passage der Studie beschäftigt sich mit politischen Forderungen von Muslimen. In einer Pressemitteilung beruhigt das Institut zunächst: Eine „deutliche Mehrheit“ der Befragten vertrete die Ansicht, daß es „das gute Recht“ von Muslimen sei, Forderungen zu stellen. In der selben Mitteilung steht aber auch, daß 20 Prozent der Befragten solche Forderungen als „Zeichen von Unverschämtheit“ bewerten würden. Wer allerdings die Studie liest und die entsprechende Grafik betrachtet, der stellt fest, daß die in der Untersuchung gestellte Frage durch das Wörtchen „zu“ eine entscheidende Wendung bekommt: „Wenn Muslime zu viele Forderungen stellen, dann ist das …“ Doch in der Pressemitteilung fehlt dieses Wörtchen „zu“, und auch im Text über der Grafik wird der Satz ohne „zu“ wiedergegeben. Das allerdings scheint viele Medien, die unkritisch über die Studie berichten, nicht zu irritieren.

Untersucht wurde auch der Zusammenhang zwischen Parteibindung und dem patriotischen Bekenntnis „Ich liebe Deutschland“. Die meisten Nein-Sager finden sich unter den Wählern der Linkspartei (30,5 Prozent lehnen die Aussage ab) und der Grünen (23,3 Prozent). Anders bei CDU/CSU (8,1 Prozent) und SPD (10,9 Prozent). Bei AfD, FDP und Piraten waren die Fallzahlen nach Ansicht der Forscher zu gering, um sie als aussagekräftig werten zu können.

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