© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/14 / 12. Dezember 2014

Ein letztes Strohfeuer in den Ardennen
Vor siebzig Jahren überraschte das Unternehmen „Wacht am Rhein“ die Alliierten im Westen / Die Offensive scheiterte bereits nach kurzer Zeit
Egon W. Scherer

Als sich das Kriegsjahr 1944 dem Ende zuneigte, konnte es eigentlich keinen vernünftigen Zweifel an der bevorstehenden deutschen Niederlage mehr geben, nachdem der Feind in zügigem Vormarsch die Grenzen des Reiches erreicht hatte. Allerdings war auch klar, daß der Endkampf noch viele Opfer fordern würde, denn wider Erwarten hatten sich im Osten wie im Westen die Fronten noch einmal stabilisiert. Und immer noch wurde in Deutschland der Glaube genährt, der Einsatz von „Wunderwaffen“ mit unfaßbarer Wirkung könne das Kriegsglück noch wenden. Da trat zur Weihnachtszeit 1944 plötzlich ein Ereignis ein, das diesen Hoffnungen neuen Auftrieb gab: eine deutsche Offensive an der Westfront, an der man sich doch so lange nur noch in der Defensive befunden hatte.

Bereits die Lage im Spätherbst 1944 entspannte sich etwas: Im Osten war es gelungen, die Rote Armee nach ihrem stürmischen Vormarsch im Sommer an der Weichsel und an Ostpreußens Grenze zum Stehen zu bringen. Im Westen hatte sich der alliierte Vormarsch in den Bunkerlinien des Westwalls festgelaufen. Im Hürtgenwald tobte monatelang eine mörderische Schlacht, die fast schon an das Verdun des Ersten Weltkrieges erinnerte. Das verlustreiche Desaster bei ihrer Luftlandung im September bei Arnheim aber hatte den Westalliierten ohnehin den Schneid für weitere kühne Aktionen vorerst abgekauft. Verflogen war die Illusion, nach den schweren deutschen Niederlagen werde man noch vor Weihnachten in Berlin sein.

Trübes Wetter half gegen die alliierte Luftherrschaft

Trotzdem – das Gesetz des Handelns glaubten die Alliierten für den Rest des Krieges auf ihrer Seite. Da elektrisierte im Dezember 1944 die Sensationsnachricht die Welt: Die Deutschen greifen wieder an. In den Ardennen wurden die Stellungen der Amerikaner auf breiter Front durchbrochen – in den Ardennen, aus denen schon im Siegesjahr 1940 deutsche Panzerrudel hervorgebrochen und nach Frankreich hineingestoßen waren. Der Vorstoß zielte auf Antwerpen, das bereits am 4. September von den Briten erobert worden war, womit sie einen wichtigen Nachschubhafen gewonnen hatten, den es zurückzuerobern galt. Letztlich sollte den Alliierten nicht weniger als ein neues Dünkirchen bereitet werden, indem man mit einem kühnen Sichelschnitt nach Nordwesten die Trennung der unter Montgomery in Holland fechtenden Briten von den weiter südlich stehenden Amerikanern Eisenhowers erreichen wollte.

Utopische Vorstellungen, wie man heute weiß. Sie stießen denn auch auf die Bedenken des Oberbefehlshabers West, Generalfeldmarschall von Rundstedt, und seiner Generale, die angesichts der vorübergehend stabilisierten Ostfront wohl eine Offensive im Westen begrüßten, entsprechend den tatsächlichen Kräfteverhältnissen aber an eine kleine Lösung, einen Vorstoß nach Lüttich oder die Zurückeroberung Aachens dachten, das am 21. Oktober verlorengegangen war. Hitler aber blieb entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen. In Kenntnis der Differenzen zwischen den Feindmächten glaubte er offenbar ernsthaft, mit diesem unerwarteten Schlag gegen die Amerikaner, deren Kampfkraft er am geringsten einschätzte, die Anti-Hitler-Koalition zersprengen zu können.

Es war der deutschen Führung nicht verborgen geblieben, daß die etwa hundert Kilometer breite Front im Ardennengebiet zwischen Monschau und Echternach mit drei Infanteriedivisionen und einer Panzerdivision der 1. US-Armee nur dünn besetzt war, und daß hier die Naht zwischen der 12. amerikanischen und der 21. britischen Heeresgruppe verlief. Zudem bot das vielfach durchschnittene Gelände der Ardennen einen gewissen Schutz vor der Luftherrschaft der Alliierten. Nicht zuletzt aber setzte der Generalstab auf eine Wetterlage, die die feindlichen Flugzeuge weitgehend am Boden halten würde.

Nach dem Operationsplan sollte die Heeresgruppe B (Oberbefehlshaber Generalfeldmarschall Model) mit drei Armeen die schwache Feindfront durchbrechen und schnell Brücken über die Maas zwischen Lüttich und Givet gewinnen, um dann weiter, an Brüssel vorbei auf Antwerpen durchstoßend, die rückwärtigen Verbindungen des Feindes abzuschneiden. Dabei kam es darauf an, mit den Panzerdivisionen voraus möglichst schnell das schwierige Gelände der Ardennen zu überwinden, den freien panzergünstigen Raum beiderseits der Maas zu gewinnen und somit dem Einsatz starker feindlicher Reserven zuvorzukommen.

Nachdem der Beginn der Offensive mehrfach verschoben worden war, trat die Heeresgruppe B am 16. Dezember 1944 zum Angriff an. Insgesamt zogen 20 Divisionen mit 800 teils modernsten Panzern („Tiger“ und „Panther“) und Sturmgeschützen in die Schlacht. Weitere Großverbände folgten als zweite Welle. Eine entscheidende Rolle war den Truppen der Waffen-SS zugedacht: Die 6. SS-Panzerarmee unter Oberstgruppenführer Sepp Dietrich führte den Hauptstoß im Norden mit dem Ziel, über Monschau-Malmedy bis in den Raum nördlich Antwerpen vorzudringen, hatte allerdings mit dem Höhengelände des Hohen Venn auch die größten Hindernisse zu überwinden. In der Mitte kämpfte die 5. Panzerarmee der Wehrmacht unter dem Kommando des im Osten vielfach bewährten Generals Hasso von Manteuffel. Die Südflanke des Angriffskeils der beiden Panzerarmeen deckte die 7. Armee unter General Brandenberger.

Die Überraschung gelang, da der Aufmarsch der deutschen Truppen, nicht zuletzt durch Einhaltung strikter Funkstille, vom Feind unentdeckt geblieben war. Am Angriffstag entzog eine dichte, niedrig hängende Wolkendecke die Angreifer der feindlichen Luftsicht. Leichter Frost hatte den in den letzten Wochen aufgeweichten Boden wieder gehärtet. Aber ausgerechnet Sepp Dietrichs SS-Verbände sahen sich in ihrem schwierigen Angriffsabschnitt schon in den ersten Tagen in schwerste Kämpfe verwickelt und verloren an Tempo.

Ihre Fahrzeugkolonnen stauten sich auf den wenigen engen, steilen und kurvenreichen Straßen und konnten sich nicht entfalten. Mehr Glück hatte Manteuffels 5. Panzerarmee, die den Auftrag hatte, über Our und Maas in den Raum um Brüssel vorzustoßen. Sie kam rasch nach Westen voran und drang schon am 17. Dezember bis Bastogne und Houffalize vor. Doch dann verlangsamte sich auch hier der Vormarsch.

Das erbittertste Ringen entwickelte sich um den Besitz der Städte Bastogne und St. Vith, zweier für den Vormarsch der deutschen Panzer entscheidend wichtige Wegespinnen. St. Vith fiel am 21. Dezember, das eingeschlossene Bastogne aber hielt sich über Wochen und wurde schließlich entsetzt. Im Norden stieß die Vorausabteilung der 1. SS-Panzerdivision unter Standartenführer Joachim Peiper bis Stavelot und La Gleize vor. In der Schnee-Eifel konnte am 19. Dezember die eingeschlossene 106. US-Infanteriedivision zur Kapitulation gezwungen werden. Im Süden erfocht die 7. Armee am 22. Dezember mit der Einnahme von Libramont ihren letzten Sieg, bevor sie der Gegenangriff der Amerikaner traf. In der Mitte kam die 2. Panzerdivison der 5. Armee am 23. Dezember noch bis 5 Kilometer an Dinant an der Maas heran, womit die Offensive den westlichsten Punkt erreicht hatte.

Zwei Tage vor Weihnachten verließ die Deutschen ihr bis dahin wichtigster Verbündeter, „General Wetter“. Am wieder klar gewordenen Himmel erschienen die Jagdbomber in Schwärmen, um sich mit Bomben und Bordwaffen auf die Marschkolonnen der Angreifer zu stürzen. Allein am Heiligabend flog die alliierte Luftwaffe rund 5.000 Einsätze. Damit spätestens war die Schlacht entschieden.

Einen Monat später war die Front wieder am Westwall

Gescheitert war die Offensive aber auch am extremen Treibstoffmangel, der oft dazu zwang, unversehrte Panzerfahrzeuge aufzugeben und zu sprengen, sowie auch an unzureichender Munitionszufuhr. Nicht zuletzt aber auch ganz einfach an der Überforderung der Truppe, obwohl sie bei dieser Offensive noch einmal eine hohe Kampfmoral bewies.

Auch die den Angriff begleitenden Sonderaktionen führten nicht zu den erhofften Erfolgen. Die englischsprechenden Männer von SS-Obersturmbannführer Otto Skorzeny, die als US-Soldaten verkleidet die Maas-Brücken bei Lüttich im Handstreich nehmen sollten („Unternehmen Greif“), konnten zwar hinter der feindlichen Front einige Verwirrung stiften, erreichten aber ihr Ziel nicht. Vielfach wurden sie entdeckt und büßten ihre Tollkühnheit mit dem Leben. Die Fallschirmjäger des Sonderkommandos des Freiherrn von der Heydte, die auf Brücken und Verkehrsknotenpunkte im frontnahen feindlichen Hinterland angesetzt waren, verfehlten hingegen beim Absprung wegen der trüben Witterung vielfach ihre Einsatzräume.

Die anfangs panikartig auf den Überraschungsangriff reagierenden Alliierten hatten sich schnell wieder gefangen. Bis zum 19. Dezember waren alle verfügbaren Reserven in den Kampf geworfen worden, rasch zusammengestellte Alarm-einheiten ebenso wie auch Eisenhowers strategische Reserven, die 82. und 101. US-Luftlandedivison. Und ab dem 22. Dezember rollte bereits im Süden des deutschen Angriffskeils der Gegenangriff von Pattons 3. US-Armee. Auch durch Neuordnung ihres Kommandobereiches wurden die Allierten der Situation gerecht: Die 1. und 9. US-Armee (Hodges und Simpson) wurden Montgomerys 21. Heeresgruppe unterstellt, die dann am 3. Januar 1945 von Norden her gegen die Deutschen vorzugehen begann. Am 16. Januar war der deutsche Frontvorsprung abgeschnürt, trafen sich die alliierten Zangen bei Houffalize. Anfang Februar standen die deutschen Truppen nach schweren Verlusten an Menschen und Material wieder in ihren Ausgangsstellungen am Westwall.

Zur Jahreswende waren noch zwei deutsche Unternehmen gestartet worden, um den schwer bedrängten Angriffsarmeen in den Ardennen Entlastung zu verschaffen. Am 31. Dezember begann das „Unternehmen Nordwind“, eine Offensive mit begrenztem Ziel im inzwischen feindbesetzten Nordelsaß, die sich aber schon am 9. Januar südlich von Weißenburg festlief.

Zwischenzeitlich hatte Eisenhower sogar die Räumung von Straßburg erwogen, was allerdings durch eine energische Intervention des französischen Generals de Gaulle verhindert wurde. Noch spektakulärer aber war ein letzter Großeinsatz der deutschen Luftwaffe am Neujahrstag 1945. Beim „Unternehmen Bodenplatte“ griffen über 1.000 deutsche Flugzeuge überraschend alliierte Flugplätze in Südholland, Belgien und Nordfrankreich an. Sie meldeten über 400 feindliche Maschinen als zerstört oder abgeschossen, doch verloren auch die deutschen Geschwader über 200 Flugzeuge – tragischerweise viele davon durch Beschuß der eigenen Flak, die infolge der hohen Geheimhaltung ohne Kenntnis des Unternehmens geblieben war.

Foto: Deutsche Soldaten passieren auf dem Vormarsch während der Ardennenoffensive ein zerstörtes US-Halbkettenfahrzeug: Hitlers verzweifelte Hoffnung, die Anti-Hitler-Koalition zersprengen zu können

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