© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/14 - 01/15 / 19. Dezember 2014

Das Unerhörte wird wahr
Der Allmächtige im Viehstall: Mit seiner Menschwerdung spricht Gott einen jeden von uns persönlich an
Jürgen Liminski

Sprechen wir von denen, die Weihnachten ernst nehmen. Sprechen wir nicht vom Konsum, sondern vom Kern des Festes. Herwig Birg formulierte es jüngst bei der Vorstellung seines neuen Buches „Die alternde Republik und das Versagen der Politik“ im Zusammenhang mit der Einwanderungsfrage so: „Deutschland ist ein christliches Land, und ich meine, es sollte auch christlich bleiben.“ Darum geht es. Wie christlich ist Deutschland noch?

Weihnachten ist sicher ein Gradmesser für die Glaubenstemperatur in diesem Land. An Heiligabend und dem ersten Feiertag werden die Kirchen wieder voll sein – eine Demonstration des christlichen Charakters dieses Landes, zahlenmäßig gewiß beeindruckend. Aber der Charakter zeigt sich nicht nur in Zahlen. In einer Zeit geistiger und politischer Verwirrung und Beliebigkeit gilt das Wort, das Kardinal Clemens von Galen, der „Löwe von Münster“, in einer seiner letzten Predigten, es war kurz nach dem Krieg, sagte: „Das Böse und das Gute liegen in einem gigantischen Kampfe, und wir müssen stolz sein, Zeugen dieses gewaltigen Ringens und Mitwirkens in demselben zu sein. Freilich hat jetzt niemand mehr das Recht, ein Mittelmäßiger zu sein.“

Die Mittelmäßigkeit ist das Problem der Christen. Das haben nicht wenige christliche Autoren beschrieben. Schon Dante versetzte in seiner „Göttlichen Komödie“ die Lauen nicht in das Fegefeuer, wie man als sicherheitsorientierter Bürger zunächst vermuten und vielleicht auch hoffen würde nach dem Motto: Na, da komm’ ich dann irgendwann raus, das Risiko ist also befristet. Nein, Dante weist den Lauen einen Platz in der Hölle zu, übrigens theologisch durchaus korrekt. Hölle ist ja ein Synonym für Gottferne, also für jene, die nicht wirklich glauben wollen.

Weihnachten nun erinnert die Christen an den Ernstfall ihres Glaubens: Gott selbst hat Menschengestalt angenommen. Diese Geschichte ist einigermaßen radikal, sie verlangt eine Antwort, und wer sie nur einmal im Jahr mit seiner Präsenz im Gottesdienst zu geben bereit ist, sozusagen als Rückversicherung für den Fall, daß dieser Christengott doch existieren sollte, der erweist sich und der Christenheit nur einen Bärendienst.

Man kann über Art und Formen der Antwort verschiedener Meinung sein. Das Entscheidende und das Christentum auch von allen anderen Religionen Unterscheidende ist die Option, daß mit der Menschwerdung Gottes jeder einzelne in ein persönliches, intimes Verhältnis zu Gott treten kann. Das geschieht etwa im stillen Gebet.

Das Gerede von dem einen Gott, an den alle Monotheisten glaubten, verliert sich in der unterschiedlichen Sicht der Gottesbilder. Allah zum Beispiel ist kein liebender Gott, der sich, Mensch geworden, in die Verfügungsgewalt von Mitmenschen begeben würde. Allah in der Krippe – für Moslems ein blasphemischer Gedanke. Ebenso blasphemisch und unvorstellbar ist für den orthodoxen Islam ein Gott, der alle Menschen liebt und sie als freie Menschen will.

Es wäre müßig, darauf hinzuweisen, daß viele C-Politiker es mit dem Ernstfall des Glaubens nicht so ernst nehmen, sonst gäbe es wenigstens eine Diskussion um den Dauerskandal der Abtreibung und bekenntnisreichere Ansätze bei familien- und biopolitischen Themen. Um so stärker stehen die Kirchenführer hier in der Verantwortung, nicht nur an Weihnachten Orientierung zu bieten, damit Deutschland seinen christlichen Charakter nicht ganz verliert.

Das Predigen von Toleranz reicht nicht. Wer wirklich tolerant sein will, muß auch seine eigene Position, seinen eigenen Glauben kennen. In diesem Sinn ist Weihnachten mit den vollen Gotteshäusern eine Chance, den Ernstfall des Glaubens nahezubringen. Das wäre sinnvoller und für das Zusammenleben mit Andersgläubigen wirkungsvoller als das eilfertige Verurteilen von Bürgern, die aus verständlicher Angst vor dem Verlust abendländischer Sicherheiten auf die Straße gehen oder die laue Mittelmäßigkeit der politischen Klasse satt haben.

Dagegen wird man in den Ansprachen zu Weihnachten vermutlich wieder gute Wünsche für das Fest der Familie hören. Geschenkt. Es wäre glaubwürdiger, würde man eine Familienpolitik – und nicht eine Familienmitgliederpolitik – betreiben, die dem Staat die Gestaltung der Rahmenbedingungen überläßt und den Familien echte Wahlfreiheit. Die Krippe ist, wie vor zweitausend Jahren, nur ein Notbehelf. Das Reden von der Vereinbarkeit ist Heuchelei, solange es nicht gerecht zugeht zwischen denen, die Kinder haben, und denen, die keine wollen.

Hier lebt Deutschland in einem permanenten Verfassungsbruch. „Ihr Kinderlein kommet“ bleibt ein Lied, das den meisten Politikern auch saisonbereinigt leicht über die Lippen geht. Für Gerechtigkeit sorgen sie nicht. Auch dafür ist dieses eine Kind aber in die Welt gekommen, nicht nur für die Hoffnung auf letzte, ausgleichende Gerechtigkeit oder den eschatologischen Vorbehalt.

Der Dichter Novalis (1772–1801), bedeutendster Vertreter der deutschen Frühromantik, meinte einmal: Kinder sind sichtbargewordene Liebe. Das gilt für das Kind in der Krippe allemal. Es ist da, und diese Gegenwart verlangt eine Antwort, die persönlich ist und politisch wirkt. Die Antwort darf auch emotional sein.

Geschenke sind dafür hilfreich. Sie zeigen Zuneigung. Sie illustrieren Liebe. Die Familie ist der bevorzugte Ort, vielleicht der Olymp unserer Gefühlskultur. Oder um mit Paul Kirchhof zu sprechen: „Wer das Glück sucht, findet die Familie.“

An Weihnachten geschieht das in besonderem Maße, weil die Politik vor der Tür bleibt. Die stille Nacht ist aber vielleicht auch der Moment, da auch Politiker sich auf das Wesentliche im Leben, auf die Liebe besinnen, die da in Kindergestalt vor uns tritt.

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