© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/14 - 01/15 / 19. Dezember 2014

Plötzlich will es keiner gewesen sein
CIA-Foltervorwürfe: Selbst bei der Frage, ob die brutalen Verhörmethoden die USA sicherer gemacht hätten, zeigt sich die Nation gespalten
Thorsten Brückner

Das schärfste Urteil kam ausgerechnet aus dem Mund eines ehemaligen Kriegshelden. „Sie haben unsere nationale Ehre beschmutzt“, kommentierte Vietnamveteran John McCain die Folterpraktiken der CIA, die der Bericht des Geheimdienstkomitees des US-Senats publik machte. Der republikanische Präsidentschaftskandidat von 2008 war der einzige von 45 republikanischen Senatoren, der die Veröffentlichung des Berichts unterstützt hatte. Nicht von ungefähr: Während seiner über fünfjährigen Kriegsgefangenschaft in Nordvietnam wurde McCain immer wieder vom Vietcong gefoltert.

Für seine Parteifreunde ist der Bericht nicht mehr als ein politisches Manöver der Demokraten. Nicht, daß es dafür keine Anhaltspunkte gäbe. Bei den Zwischenwahlen erlitten die Demokraten eine empfindliche Niederlage. Der Senat wird mit Mitch McConnell künftig einen republikanischen Mehrheitsführer haben, das Geheimdienstkomitee einen republikanischen Vorsitzenden.

Sexuelle Demütigungen waren an der Tagesordnung

Undenkbar, daß der Bericht, der in einem Zeitraum von fünf Jahren erstellt wurde und den amerikanischen Steuerzahler rund 40 Millionen Dollar gekostet hat, nach der Amtseinführung des neuen Kongresses seinen Weg an die Öffentlichkeit gefunden hätte. Aber nicht nur der Zeitpunkt, auch die methodische Vorgehensweise wirft Fragen auf. Kein einziger CIA-Verantwortlicher kommt in dem Bericht zu Wort, der nicht etwa von Geheimdienstexperten, sondern von Büromitarbeitern einzelner Senatoren zusammengestellt wurde.

„Staffer-Report“ (Mitarbeiterbericht), spotten die Republikaner über das mehr als 6.000 Seiten starke Dokument, von dem aus Sicherheitsgründen nur 500 Seiten veröffentlicht wurden.

Neuigkeiten ergeben sich aus dem Bericht nur in Detailfragen. Offenbar wurden nicht wie von der CIA behauptet 100, sondern 119 potentielle Terroristen verschleppt und den „erweiterten Verhörmethoden“ (enhanced interrogation techniques) unterzogen. Auch deutet der Bericht an, daß neben den drei von der CIA eingeräumten Terroristen Khalid Sheikh Mohammed, Abu Zubaydah, und Abd al-Rahim al-Nashiri weitere Inhaftierte unter Einsatz der Wasserfolter („waterboarding“) verhört wurden.

Schockierend ist die Darstellung der Methoden: Mit Schlafentzug von bis zu 180 Stunden, aufrecht stehend, die Hände über dem Kopf in einer „streßerzeugenden Position zusammengekettet“, sollten die Gefangenen gefügig gemacht werden. Aber auch sexuelle Demütigungen waren an der Tagesordnung. Während der Verhöre mußten die Gefangenen meist nackt, nur mit einer Windel am Körper, die Fragen beantworten.

In mindestens fünf Fällen wurden Gefangene „rektal hydriert“, ohne daß dies medizinisch notwendig war. Dazu kamen Schläge, „Eisbäder“ und wochenlange Isolation in kompletter Dunkelheit. „Erlernte Hilflosigkeit“, lautete das Konzept der beiden von der CIA angeheuerten Psychologen, um den Willen der Gefangenen zu brechen. Der im September 2002 festgenommene Ramzi Binalshib, einer der führenden Köpfe der Hamburger Terrorzelle um Mohammed Atta, entwickelte während der Haft eine Psychose. In seinem Fall besonders erschütternd: Anders als etwa Sheikh Mohammed oder der Anfang 2002 als erster Topterrorist verhaftete Bin Laden-Vertraute Abu Zubaydah soll er von Anfang an bereit gewesen sein, zu kooperieren. Die Folter ersparte ihm das nicht. „Robustere“ Verhörmethoden sollen bei ihm bereits zur Anwendung gekommen sein, wenn er sich über Bauchschmerzen beklagt oder vergessen habe, einen Beamten mit „Sir“ anzusprechen.

Es ging darum, die „Bastarde aufzuspüren“

Sheikh Mohammed, dem mutmaßlichen Planer der Anschläge auf die Zwillingstürme in New York, drohten die Ermittler damit, seine Mutter zu entführen und sie vor seinen Augen zu vergewaltigen. Die Wirkung blieb nicht aus: „Mohammed gab uns danach regelrechte Seminare über die Strukturen von al-Qaida“, sagte der Sicherheitsexperte Charles Krauthammer, der den Senatsbericht als „Farce“ bezeichnete. Laut eigenen Angaben der CIA aus dem vergangenen Jahr waren 26 der so Verhörten nachweislich unschuldig.

Lange Zeit konzentrierte sich die Empörung westlicher Medien auf das Gefangenenlager Guantánamo. Spätestens nach dem Bericht ist klar: Die Gefangenen dort erhielten im Vergleich zu den Verhörten in den Lagern „Blue“ und „Cobalt“ eine Behandlung erster Klasse. In der Cobalt-Anlage – wohl ein verlassenes Salzbergwerk in Afghanistan – gab es weder Toiletten noch eine Heizung. Einer der Gefangenen, Gul Rahman starb dort an Unterkühlung, nachdem man ihn zuvor ausgezogen und auf den kalten Boden seiner Zelle gelegt hatte.

Bei den Ermittlern handelte es sich laut dem Bericht um unerfahrenes Personal, das sich nicht an die Richtlinien der CIA-Führung hielt. Bereits 2003 gestand sie ein, über Entwicklungen dort nicht auf dem laufenden gewesen zu sein.

Der libertäre Richter und Fox News-Experte Andrew Napolitano hat inzwischen das Justizministerium aufgefordert, auf Basis der neuen Erkenntnisse Ermittlungen einzuleiten. Davon wären nicht nur ehemalige CIA-Mitarbeiter betroffen, sondern möglicherweise auch der frühere Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, Vizepräsident Dick Cheney und Präsident George W. Bush.

Während letztgenannter sich unmittelbar vor der Freigabe des Berichts zu Wort meldete und die Geheimdienstmitarbeiter als „Patrioten“ bezeichnete, die Amerika sicherer gemacht hätten, ging Cheney kurz nach der Veröffentlichung in die Offensive. Der Bericht sei „voll von Scheiße“, polterte er in einem Interview mit dem TV-Sender Fox News und gab sich uneinsichtig: „Ich würde es wieder tun.“ Die Aufgabe der CIA sei es gewesen, „die Bastarde aufzuspüren, die für den 11. September verantwortlich“ waren. Dafür verdienten die Mitarbeiter Dank, keine Schmähungen.

Es ist davon auszugehen, daß Cheney mehr über die CIA-Praktiken wußte als Bush. Als ehemaliger Verteidigungsminister unter Bush senior war der Vizepräsident vor allem mit Fragen der nationalen Sicherheit betraut. Aber auch der Präsident soll laut Cheney über die Inhalte des Programms und die verwendeten Techniken von Anfang an informiert gewesen sein. Im Bericht hingegen heißt es, die CIA habe das Weiße Haus im unklaren gelassen, an anderen Stellen sogar offen den Kongreß belogen. Dazu paßt: Nachweislich hackten sich Geheimdienstmitarbeiter in Rechner derjenigen Senatoren, die für die Ausarbeitung des Berichts verantwortlich waren. CIA-Chef John Brennan mußte sich entschuldigen. Anklagen wurden keine erhoben. Auch jetzt plant das Justizministerium unter Führung des in wenigen Wochen aus dem Amt scheidenden Eric Holder keine weitere Untersuchung des Skandals.

In einem Meinungsartikel im Wall Street Journal haben frühere CIA-Chefs, darunter George Tenet, der von 1997 bis 2004 die Behörde leitete, auf die Vorwürfe reagiert. Vage sprechen sie darin von „faktischen Unkorrektheiten“ des Berichts, ohne jedoch einen der konkreten Foltervorwürfe zu bestreiten. Ja, gerade in der Anfangszeit des Programms seien Fehler gemacht worden. Diese seien aber schnell korrigiert worden.

Das Weiße Haus sei ebenso wie der Kongreß zu jedem Zeitpunkt informiert gewesen. Allein Senat und Repräsentantenhaus seien mindestens 30mal unterrichtet worden. Wenn das stimmt, wirft der Bericht nicht nur Fragen nach der Rolle von Bush auf. Was wußte etwa die frühere Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, die bis zu ihrer Wahl als Minderheitenführerin 2003 die führende Demokratin im Geheimdienstausschuß des Repräsentantenhauses war? Krauthammer spricht von Heuchelei: „Damals waren alle Demokraten dafür, jetzt über zehn Jahre später, wo wir alle wieder in Sicherheit leben, tun sie so, als hätten sie nichts damit zu tun gehabt.“

Demokraten fordern Säuberung der CIA

Aber haben die Verhörmethoden das Land sicherer gemacht? Haben die umstrittenen Praktiken weitere Anschläge großen Stils verhindert? Auch an dieser Frage scheiden sich die Geister. Während der Bericht zu dem Ergebnis kommt, die Foltermethoden seien ineffektiv gewesen, beharrt die CIA auf dem Gegenteil. Nicht nur konnten dank der Verhöre weitere Angriffe auf die USA verhindert werden. Die so erlangten Informationen hätten dem Geheimdienst auch geholfen, den Chef der Terrorgruppe Jamaah Islamiya, Riduan Isamuddin (Hambali), dingfest zu machen, der 2002 für den Terroranschlag auf der indonesischen Insel Bali verantwortlich war, bei dem über 200 Menschen starben.

Auch die Fährte zu al-Qaida-Chef Osama Bin Laden sei durch die „Mithilfe“ der Gefangenen entstanden. Der Streit über die Frage, ob das Programm Anschläge verhindern konnte, sorgt selbst innerhalb von Obamas Regierung für Dissens. Der vom derzeitigen Präsidenten ernannte CIA-Chef Brennan widersprach seinem Chef, der die Taktiken zuvor als „nicht im Einklang mit unseren amerikanischen Werten“ bezeichnet hatte. „Parteiisch und fehlerbehaftet“ sei die Untersuchung des Senats, so Brennan. Die überwältigende Mehrheit der Beamten habe im Einklang mit geltenden Richtlinien gehandelt.

Viele in der demokratischen Partei stellt eine solche Erklärung nicht zufrieden. Senator Mark Udall aus Colorado forderte Obama auf, als Reaktion auf den Bericht „seine Administration von CIA-Offiziellen zu säubern“, die wiederholt gelogen hätten. Darunter falle für ihn auch CIA-Direktor Brennan.

www.intelligence.senate.gov/

Kommentar Seite 2

 

CIA-Brückenköpfe in Europa

Die Veröffentlichung des Berichts über die CIA-Foltermethoden lenkte den Blick in erster Linie auf Litauen, Rumänien und Polen. Warschau wurde deswegen bereits im Juli vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt. Die Straßburger Richter kritisierten den Umstand, daß die polnische Regierung der CIA ein Geheimgefängnis in Stare Kiejkuty zur Verfügung gestellt und den Geheimdienst entsprechend aktiv unterstützt habe. Damit habe der polnische Staat gegen die Menschenrechtskonvention (unter anderem Verbot der Folter) verstoßen. Zwischen 2002 und 2005 sollen in dem Gefängnis die mutmaßlichen Terroristen Abd al-Rahim al-Nashiri und der Palästinenser Zayn al-Abidin Muhammad Husayn, bekannt als Abu Zubaydah, von der CIA festgehalten und gefoltert worden sein. Die zwei in Guantánamo Bay Inhaftierten hatten Klage erhoben. Das Gericht verurteilte Polen zur Zahlung von je 100.000 Euro an die Beschwerdeführer. Polen erhob Ende Oktober Einspruch gegen das Urteil und begründete dies mit eigenen geheimen staatsanwaltlichen Untersuchungen.

Fotos: Demonstration gegen die Folterpolitik (Chicago): Kein Unterschied zwischen George W. Bush und Obama; John Brennan: Der CIA-Chef weist die Kritik als „parteiisch und fehler-behaftet“ zurück

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen