© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/14 - 01/15 / 19. Dezember 2014

Dorn im Auge
Christian Dorn

In der Galerie Tammen & Partner, unweit des Checkpoint Charlie, Ausstellungseröffnung mit zwei der außergewöhnlichsten politisch unkorrekten Künstler Deutschlands, die sich gleichwohl eher links verorten dürften: Moritz Götze und Volker März (bis 24. Januar 2015). Letzterer zeigt in seinen verrückten Figuren unter anderem Schwarze mit Orang-Utan-Köpfen. Ein afrikanischer Diplomat soll angeblich echauffiert sein, wagt aber nicht, den Künstler anzusprechen. Eine bekannte Liedermacherin mit androgynem Kunstnamen, der ich sage, für welche Zeitung ich arbeite, bescheinigt mir daraufhin, „ein psychisches Problem“ zu haben. Sie selbst tritt zum politisch-korrekten Gesangsunterricht im rot-grünen Milieu der Böll-Stiftung auf – das ist natürlich sakrosankt. Keiner käme auf die Idee, wegen des Künstlernamens eine gestörte sexuelle Identität zu unterstellen.

In Leipzig zur Ausstellungseröffnung „Unter Druck!“ über die Beziehung von Politik und Medien (JF 51/14). Die Infantilisierung der Gesellschaft zeigt sich im Raum, der den DDR-Medien gewidmet ist und der den Besucher mit einer aufgebahrten Broschüre begrüßt: „Unsere Presse – Die schärfste Waffe der Partei“. Zwei Jugendliche, die für einen Ausstellungsfilm posieren, kommunizieren über den Horizont politischer Partizipation. Sie: „Aber die einzige Partei, die in Deutschland die Doppelmitgliedschaft erlaubt, sind die Piraten.“ Darauf er: „Ja, und Die Partei.“ Hatte die nicht damals schon recht?

Abstecher zum Stasi-Museum in der „Runden Ecke“, dem einstigen MfS-Quartier. Sehe dort erstmals als Loop die schemenhaften Kamerabilder von der machtvollen, friedlichen Demonstration in Leipzig am 9. Oktober 1989, die von Menschen aus der ganzen DDR besucht wurde und nicht zuletzt dadurch die Niederlage der SED-Diktatur vorwegnahm. Im Bewußtsein, dabeigewesen zu sein, schießen mir Tränen in die Augen. Zu hören sind die immergleichen Sprechchöre: „Wir sind das Volk“ und „Schließt euch an“. Tatsächlich kommt dazwischen auch der Chorus „Völker hört die Signale / auf zum letzten Gefecht / die Internationale / erkämpft das Menschenrecht.“ Also wurde das Lied damals doch angestimmt! Ich hatte schon gedacht, es wäre eine Einbildung.

Zugfahrt zurück nach Berlin – mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Denke kurz an den Angelus Novus und frage mich, ob Walter Benjamins Theorie vom Engel der Geschichte noch irgendeine Bedeutung für mich hat.

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