© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/14 - 01/15 / 19. Dezember 2014

Das Reizwort vermieden
Statt „Pegida“: Die Gesellschaft für deutsche Sprache kürte „Lichtgrenze“ zum Wort des Jahres
Thomas Paulwitz

Lichtgrenze? Nie gehört!“ Zu den „Wörtern des Jahres“ der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) zählen des öfteren auch solche, die bei der breiten Bevölkerung eher unbekannt sind. Man denke etwa an die „Rettungsroutine“ (2012). 2014 ist es also die „Lichtgrenze“. Das Wort bezeichnet eine Art Lichtdom aus Ballons, den man zu den Feierlichkeiten für 25 Jahre Mauerfall in den Himmel strahlte (JF 46/14). Wie willkürlich ein Wort des Jahres zustande kommt, ist aus der Pressemitteilung der GfdS zu erfahren: „Ursprünglich hatte die Jury das Wort Lichtgrenze gar nicht auf ihrer Liste. Erst in der Diskussion kam der Vorschlag auf.“

Viele fragen sich nun, ob es kein besseres Wort gegeben hätte. Echten Mut hätte die Gesellschaft für deutsche Sprache etwa bewiesen, wenn sie die Abkürzung „Pegida“ („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) in ihre Liste aufgenommen hätte. Dabei spielt es keine Rolle, ob man mit dem Anliegen von Pegida übereinstimmt. Die GfdS stellt selbst fest, daß mit der Auswahl „keinerlei Wertung oder Empfehlung verbunden“ ist. Sonst hätte sie zum Beispiel auch nicht das Wort „Terror-Tourismus“ dieses Jahr in ihre Liste setzen können.

Die Sprachgesellschaft sucht „Wörter und Wendungen, die den öffentlichen Diskurs des Jahres wesentlich geprägt und das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben sprachlich in besonderer Weise begleitet haben“. Das träfe tatsächlich auf Pegida zu. Es ist als Reizwort in aller Munde, sowohl bei Befürwortern als auch bei Gegnern. Seine Dynamik entfaltet es durch seine Anpassungsfähigkeit und Gestaltungsmöglichkeit. Bewegungen in anderen Orten – darunter auch Trittbrettfahrer – übernehmen das Suffix „gida“ und setzen ein örtliches Präfix davor. In Düsseldorf gibt es etwa „Dügida“. Das regt sogar den politischen Gegner zu Wortspielen an. So entstanden dort die „Dügefa“ („Düsseldorfer gegen Faschismus“). Eine andere Gruppe heißt „Pagode statt Pegida“. Die ZDF-Satiresendung „Heute-Show“ steuerte die Wortschöpfung „Frigida“ bei. Die Sprache lebt also, ganz ohne willkürliche „Wörter des Jahres“.

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