© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/15 / 02. Januar 2015

Paul Collier. Der renommierte Ökonom kritisiert die europäische Einwanderungspolitik
Der Vordenker
Michael Wiesberg

Sein im Herbst auf deutsch erschienenes Buch ist geeignet, die EU-Migrationspolitik vom Kopf auf die Füße zu stellen: gemeint ist „Exodus. Warum wir Einwanderung neu regeln müssen“ (JF 42/14) des linksliberalen britischen Entwicklungsökonomen Paul Collier, dessen Plädoyer für eine Begrenzung der Zuwanderung und eine kompromißlose Rückführung illegaler Einwanderer auch in Deutschland für Aufmerksamkeit sorgt.

Erheblichen Unmut bei hiesigen Migrations-Lobbyisten dürfte im weiteren die Forderung Colliers verursachen, auch die Interessen der Einwanderungsländer im Auge zu behalten, spricht er sich doch für Selektionsmechanismen bei der Zuwanderung aus. Aber auch im angelsächsischen Raum stoßen Colliers Thesen nicht immer auf Gegenliebe. Die einflußreiche US-Zeitschrift Foreign Affairs etwa will „eine ungeheure Ansammlung empirischer und logischer Fehler“ bezüglich der Konsequenzen von Zuwanderung in Colliers Buch ausgemacht haben.

Daß viele Tausende von Afrikanern auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer zu Tode kommen, sieht Collier vor allem in der Migrationspolitik der EU begründet. Fatal sei, daß jene, die es bis nach Lampedusa schafften, von der EU „mit Rechten überschüttet werden“. So würden viele Afrikaner überhaupt erst motiviert, sich für teures Geld in die Klauen einer Schlepper-Mafia zu begeben, um einen Platz in einem maroden Boot zu ergattern.

Biographisch ist dem 1949 geborenen Collier, der 2014 in den Ritterstand erhoben wurde, das Thema Migration alles andere als fremd. Er ist der Enkel eines deutschen Auswanderers – sein Großvater emigrierte einst aus dem süddeutschen Ernsbach ins nordenglische Bradford – und gehört einer multikulturellen „Patchwork-Familie“ an. Collier ist Professor für Ökonomie und Direktor des Zentrums für afrikanische Ökonomien an der Universität Oxford; zuvor leitete er von 1998 bis 2003 die Forschungsabteilung der Weltbank. Er wird zu den führenden Experten für afrikanische Wirtschaft und die Ökonomien der Entwicklungsländer gezählt.

Aufsehen erregte bereits sein 2008 auf deutsch erschienenes Buch „Die unterste Milliarde“, in dem er fordert, die „ärmste Milliarde Menschen nicht zu vergessen“. Diese sieht Collier in einer komplexen Gemengelage gefangen; er spricht von der „Ressourcenfalle“, von schlechter Regierungsführung („Survival of the fattest“) und von den Problemen der Binnenlage mancher Entwicklungsländer. Von Übel sei zudem die indische und chinesische Billigkonkurrenz, vor der „die unterste Milliarde“ geschützt werden müsse.

Colliers Untersuchungen zeichnen sich dadurch aus, daß er die komplexen Probleme, die Migration für die Aus- und Einwanderungsländer aufwirft, gleichermaßen im Blick behält. Ein gewaltiger Fortschritt wäre es, fänden seine Erkenntnisse Eingang in die hiesige Migrationspolitik.

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