© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/15 / 02. Januar 2015

Vorsichtige Annäherung
Hamburg: Unter dem Eindruck von Pegida richtet die AfD ihren Wahlkampf neu aus
Marcus Schmidt

Wer verstehen will, was die Pegida-Demonstrationen im fernen Dresden mit der Bürgerschaftswahl am 15. Februar in Hamburg zu tun haben, kommt um Hans-Olaf Henkel nicht herum. Wie die Elbe die beiden selbstbewußten Partnerstädte verbindet, ist der frühere BDI-Präsident so etwas wie das Bindeglied zwischen dem Urnengang in Hamburg und dem Streit um die Haltung zum Protest der Straße gegen Islamisierung und Asylpolitik.

Auch wenn Henkel nicht zur Wahl steht, ist der Parteivize für die AfD so etwas wie das Aushängeschild in der Hansestadt. Hier wurde Henkel 1940 geboren und hier stört sich niemand an seiner hanseatischen Reserviertheit, die anderswo leicht als Arroganz mißverstanden wird.

In der Hansestadt sollte alles anders werden

Henkel soll der Hamburger AfD und ihrem Spitzenkandidaten Jörn Kruse helfen, dem Erfolgsdruck gerecht zu werden, der nach der Siegesserie in Sachsen, Brandenburg und Thüringen auf dem Landesverband lastet. Von einem zweistelligen Ergebnis wie in den drei östlichen Ländern kann die AfD in Hamburg zur Zeit nur träumen. Zum Jahreswechsel kam die Partei an Alster und Elbe in den Umfragen auf sechs Prozent.

Die durch die Pegida-Demonstrationen befeuerte Diskussion über die Asylpolitik kommt der AfD in Hamburg gerade recht, auch wenn das niemand so recht zugeben mag. Denn bislang hatte der Euro-kritischen Partei ein griffiges Wahlkampfthema gefehlt. Beim klassischen Protestthema innere Sicherheit gibt sich die SPD unter dem Ersten Bürgermeister und früheren Innensenator Olaf Scholz bislang kaum eine Blöße. Doch eigentlich wollte die Partei in Hamburg sowieso alles anders machen. Noch Ende September hatte Henkel nach den Erfolgen bei den drei Landtagswahlkämpfen für die Elbmetropole einen „anderen“ Wahlkampf angekündigt. Themen wie die grassierende Grenzkriminalität, mit denen die AfD im Osten bei den Wählern punkten konnte, würden in der vom weltweiten Handel geprägten westdeutschen Großstadt nicht ziehen, gab er sich überzeugt. Stattdessen nannte Henkel die Schlagworte Vernunft, Anstand und Toleranz als Leitlinie des AfD-Wahlkampfes in Hamburg. Doch so richtig verfangen wollte das Konzept nicht, trotz positiver Rückmeldungen aus der Wirtschaft. Die AfD rutschte zeitweilig in den Umfragen auf vier Prozent ab. Nervosität und Ratlosigkeit machten sich breit.

Diese Entwicklung und das gleichzeitige Aufkommen der Pegida-Demonstrationen haben offenbar auch bei Henkel zu einem Umdenken geführt. Er tastet sich nun, wenn auch überaus vorsichtig, an die Themen Islamisierung und Asylproblematik heran. Der Tenor bleibt dabei skeptisch. Mehrfach riet er seiner Partei davon ab, sich direkt an den Protesten zu beteiligen. Henkel sagte aber auch: „Ich habe aber nichts dagegen, wenn jemand seinen Vorbehalten gegen die Auswüchse des Islamismus Ausdruck verleihen möchte. Vor allem, wenn sich die Proteste nicht gegen Ausländer, sondern gegen die Vertreter der Altparteien wenden, die mit der Zuwanderung verbundene Probleme unter den Teppich kehren wollen.“

Henkels Haltung zum Islam ist alles andere als unkritisch. Doch warnt er nicht in erster Linie vor dessen Ausbreitung, sondern nimmt vor allem kulturelle Defizite aufs Korn, wie etwa im Dezember auf einer Wahlkampfveranstaltung im Gebäude der Patriotischen Gesellschaft. Vor rund 200 zumeist älteren Zuhörern verwies Henkel darauf, daß in keinem der weltweit 57 islamischen Staaten, mit Ausnahme des Libanons und Indonesiens, Menschenrechte, Marktwirtschaft und Demokratie verwirklicht seien.

Auch Spitzenkandidat Jörn Kruse hat erkannt, daß die Partei das Thema bedienen muß, will sie im „Winterwahlkampf“ bestehen und in die Bürgerschaft einziehen. Der agil wirkende emeritierte Wirtschaftswissenschaftler der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr teilt die liberalen Grundüberzeugungen Henkels und ist in der Öffentlichkeit stets darauf bedacht, in der Ausländerpolitik einen „falschen“ Zungenschlag zu vermeiden. Noch wisse niemand so genau, mahnte Kruse kurz vor Weihnachten, wie sich die Teilnehmer der Pegida-Demonstrationen „soziographisch und bezüglich ihrer politischen Einstellungen“ genau zusammensetzten. „Sicher gibt es auch eine Reihe von rechtsradikalen und ausländerfeindlichen Personen darunter. In der ganz großen Mehrheit dürfte es sich aber um harmlose, ehrenwerte Bürger handeln, die von eher diffusen und stark heterogenen Gefühlen der Verunsicherung und der Empörung angetrieben werden“, sagte der Spitzenkandidat.

Mit ihrem tastenden Annäherungskurs an die aktuelle Asyl- und Islamdebatte hinken die Hamburger im Vergleich mit der Gesamtpartei immer noch ein gutes Stück hinterher. In der AfD-Spitze ist die anfänglich zumindest auch bei Parteichef Bernd Lucke herrschende Skepsis gegenüber Pegida einer aufgeschlosseneren Haltung gewichen. Die Dresdner Landtagsfraktion will sich demnächst sogar mit den Organisatoren der Demonstration treffen. So weit werden Hans-Olaf Henkel und Jörn Kruse dann vermutlich doch nicht gehen.

Foto: Hans-Olaf Henkel in Hamburg: Umfrageergebnisse sorgten für Nervosität und Ratlosigkeit

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