© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/15 / 02. Januar 2015

An der Front gefallen
Dichter im Ersten Weltkrieg: Die Schriftsteller Walter Flex und Hermann Löns personifizieren die Verbindung von Dichtkunst und Heldentod auf deutscher Seite / Teil 3 und Schluß einer JF-Serie
Felix Dirsch

Neben im Geschichtsgedächtnis kaum mehr präsenten Schriftstellern, deren Schaffen sich um das große Ringen zwischen 1914 und 1918 drehte, gibt es freilich diejenigen, die stärker in Erinnerung geblieben sind. Zu ihnen sind Hermann Löns (1866–1914) und Walter Flex (1887–1917) zu rechnen. Ein Indiz hierfür sind die Benennungen von Straßen. So finden sich im süddeutschen Raum etliche Walter-Flex-Straßen, darunter in München, Stuttgart und Nürnberg. Gleiches gilt für Hermann Löns. Wenngleich zu befürchten ist, daß diese Benennungen dereinst getilgt werden mit der Begründung, die Betreffenden hätten irgendwie mit der Selbstbehauptung der eigenen Nation zu tun und seien auf diese Weise entfernte Vorläufer der Nationalsozialisten, so sind solche Benennungen, meist in Verbindung mit einer Erklärung der jeweiligen Person und ihren Lebensdaten, ein ermutigendes Zeichen.

Die Bande zwischen den Völkern vertiefen

Während die beiden wohl bekanntesten deutschen Kriegsdichter, Ernst Jünger und Erich Maria Remarque, den Krieg überlebt haben und nach dessen Ende an ihrem eigenen Mythos arbeiten konnten, mußten Flex und der eine Generation ältere Löns ihr Leben an der Front lassen. Ihre Rezeption besorgten andere.

Vorteilhaft für Löns und Flex war, daß sie bereits vor ihren Soldatenerfahrungen poetisch in Erscheinung getreten sind. Der Jüngere ist nur mit Mühe den literarischen Vorkriegsströmungen zuzuordnen. Flex beschäftigte sich (wie manche anderen Kollegen) mit der Kriegsproblematik, bevor sie politisch aktuell wurde – und das in Gestalt des Dreißigjährigen Krieges. Die Verarbeitung des nach 1914 Erlebten konnte also an gewisse literarische Vorkenntnisse anschließen. Überdies verfaßte der Autor in jungen Jahren seine Dissertation, daneben Dramen und Novellen.

Trotz dieser passablen Schriften wäre der aus Eisenach stammende Flex kein Gegenstand der Literaturgeschichte, hätte er nicht – unter welchen ungünstigen Bedingungen auch immer – den „Wanderer zwischen beiden Welten“ verfaßt. Zwar war der zum Zeitpunkt seines Todes Dreißigjährige kein brillanter Stilist wie Ernst Jünger. Jedoch sind seine Schilderungen auch ohne größere Ästhetisierung des Erlebten eindringlich.

Im Mittelpunkt des Berichts, der teilweise im Stil eines Kriegstagebuches geschrieben ist, steht seine Freundschaft zu dem Kriegskameraden Leutnant Ernst Wurche. Die Darstellung dessen Todes 1915 infolge einer Schußverletzung gehört zu den Höhepunkten des Buches. Das Schicksal verschonte auch Flex nicht; er starb ein Jahr vor Kriegsende im estnischen Peudehof an den Folgen einer Verwundung. Ein Walter-Flex-Freundeskreis errichtete eine Gedächtnisstätte mit dem Nachlaß des Meisters in Dietzenbach-Steinberg. Zum sechzigsten Todestag wurde dort eine Nachbildung der Grabstätte auf Ösel eingeweiht.

Dennoch war das Andenken des bald verklärten Literaten alles andere als harmonisch. Bereits unmittelbar nach 1918 wurde Flex von pazifistischen Kreisen angegriffen. Schon damals war sein Glaube an die „Wiedergeburt unseres Volkes“, an die „Ewigkeit des deutschen Volkes“ sowie an die „welterlösende Sendung des Deutschtums“ für einige ein Indikator für nationalistische Gesinnung. Vor dem heutigen Hintergrund einer einzigartigen Vernutzung herkömmlicher Werte, Traditionen und Bestände sowie des allgegenwärtigen „negativen Nationalismus“ (Ernst Nolte) klingen solche Äußerungen in der Tat fremd.

Doch Flex ist nicht als Chauvinist einzustufen. Er will vielmehr den Dienst des eigenen Volkes an der Menschheit herausstellen. Etwas hochgegriffen, aber in der Sache nicht falsch, hat einer seiner frühen Biographen, Otto Brües, die Verbindungen zwischen den Idealen der Weltkriegslegende und den humanitären Absichten von Herder und Schiller herausgestellt. Flex wollte nach Brües die Bande zwischen den Völkern vertiefen; er intendierte einen Völkerbund im tieferen Sinn als jener, der nach seiner Gründung zu sehr westlich-universalistisches Gedankengut in den Vordergrund stellte. In einem Brief einige Monate vor seinem Tod betonte er die Priorität sittlicher vor den nationalen Forderungen. Eine differenzierte Flex-Interpretation müßte dieses Postulat gebührlicher herausstellen als es meist geschieht.

Heidedichter mit Passion für die Jagd

Hermann Löns, im westpreußischen Kulm geboren, aufgewachsen in Deutsch Krone an den südlichen Ausläufern der Tucheler Heide, ist nicht zu den Kriegsdichtern im engeren Sinn zu zählen. Grund dafür ist sein früher Tod in Frankreich, nicht einmal acht Wochen nach Beginn der Auseinandersetzungen. Dennoch hat man einen Teil seines Œuvres stets in diesem Kontext gedeutet. Sein noch vor „Der letzte Hansbur“ und „Mümmelmann“ bekanntester Roman, „Der Wehrwolf“, der 1910 erschienen ist, beschäftigt sich indirekt mit der Situation Deutschlands vor dem Ersten Weltkrieg.

Der als von der Romantik inspirierte Landschafts- und Heidedichter bekannt gewordene Autor schildert darin die Reaktion von Bauern im Dreißigjährigen Krieg in der Heide. Sie verteidigen gegen marodierende Eindringlinge ihre Heimat und schließen sich in Schutzbünden zusammen. Gewalttaten, zum Teil blutrünstiger Natur, werden in dem Text öfter geschildert. Jenseits der naturalistischen Drastik sehen manche Interpreten in der Darstellung ein historisches Epochengemälde, in das der Verfasser „das antichristlich-inhumane, männlich überbetonte Element seiner ‘germanischen Renaissance’ hineinprojiziert“ (Manfred Kluge).

Gelegentlich wird ein Zusammenhang zwischen dem Buchtitel Löns’ und der Absicht der Nationalsozialisten am Ende des Zweiten Weltkrieges hergestellt, Partisanenverbände aufzustellen, die „Werwölfe“ genannt wurden, deren Stärke jedoch gering war. Schon die Schreibweise verdeutlicht aber Unterschiede. Die These vom „präfaschistischen“ Literaten Löns wird auch durch die Rezeption seines Matrosen- oder Englandliedes im Dritten Reich zu untermauern versucht. Der umgeschriebene Text (noch mehr als die Melodie) war in der NS-Rundfunkpropaganda sehr beliebt. Obwohl Löns nach 1945 vereinzelte Apologeten fand, die die Inkriminierung des Gesamtwerkes jedoch nicht verhindern konnten, mußten selbst wohlwollende Rezipienten wie der Germanist Johannes Klein „Ansätze einer Rassenlehre“ einräumen. Immerhin fehlt jede Spur antisemitischer Gesinnung.

Eine relativ problemlose Anknüpfung an Löns’ Schrifttum gelang anläßlich seiner Wiederentdeckung als Natur- und Heimatschützer sowie als Jäger. In der Tat handelte es sich bei ihm um einen Meister der Natur- und Tierbeschreibung. Daneben verfaßte der enorm vielseitige Publizist Berichte über die Vorzüge der Jagd, die in nicht wenigen Fällen dem Tier einen schnelleren und schmerzloseren Tod bringe als diverse Varianten, die die Natur kenne, verteidigte Löns seine Passion. Andererseits schreibt er in seiner Erzählung „An der Beeke“: „Ich bin sonst gar nicht schießhungrig; doch heute möchte ich eine Pirsche machen auf etwas, das mich reizt, das mir das kühle Blut wärmer macht und mir das Herz zum eiligeren Schlagen bringt.“

Auch Löns’ Bedeutung als Lyriker ist nicht zu unterschätzen. In etlichen Natur- und Liebesgedichten zeigt sich ein antizivilisatorischer Grundzug. Die Natur wird als anspruchsloser, aber dennoch glücksbringender Lebensort hervorgehoben. Auch sozialkritische Hinweise finden sich. Auffallend sind kritische Kommentare des Autors zu eigenen, früheren Versuchen. Bekanntheit erlangte seine Volksliedsammlung „Der kleine Rosengarten“, die von der Wandervogelbewegung verbreitet wurde. Daneben sind die Erzählungen zu erwähnen, die oft unterschätzt worden sind, unter anderem die Geschichten des „Braunen Buchs“ und der „Heidebilder“.

Bei kaum einem unter den bedeutenden deutschen Dichtern der Vorkriegszeit machte sich das „Vorgefühl großer Erschütterungen“ (Johannes Klein) so sehr bemerkbar wie bei Löns, was auf sensible seismographische Fähigkeiten schließen läßt. Trotz der Zwiespältigkeit mancher Textpassagen ist schon aus diesem Grund eine größere Neuaufnahme des oft Verfemten zu wünschen.

Die JF-Serie von Felix Dirsch über Schriftsteller im Ersten Weltkrieg endet mit diesem dritten Teil. Der erste widmete sich Richard Dehmel, Klabund und Ernst Lissauer (JF 512/14), der zweite Heinrich Lersch, Ernst Thrasolt und Ina Seidel (JF 52/14–1/15).

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