© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/15 / 02. Januar 2015

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Nach einer Untersuchung der Universität Mailand, die zwischen dem 1. Juli und dem 22. Oktober mehr als zwei Millionen arabischer Einträge in Blogs und Foren untersucht hat, sympathisierten in Belgien mehr als 31 Prozent der Autoren mit dem Islamischen Staat, in Frankreich waren es immerhin 20,8 Prozent. Nur in Katar mit 47,6 Prozent und in Pakistan mit 35,1 Prozent lagen die Anteile deutlich höher, während sie in Syrien mit 7,6 Prozent und im Irak mit 19,7 Prozent deutlich darunter rangierten.

Der britische Historiker David Reynolds hat zur Erklärung der EU-Skepsis seiner Landsleute darauf hingewiesen, daß man in Frankreich wie in Deutschland die europäische Einigung auch als Ende der Erbfeindschaft beider Länder betrachtet habe, während in Großbritannien die Erfahrung zweier Weltkriege eher zu der Auffassung führte, daß es ratsam sei, sich aus den Angelegenheiten des Kontinents herauszuhalten.

Man sollte die Grundhaltungen von Konservativen, Liberalen und Sozialisten einmal unter dem Aspekt der politischen Phantasie betrachten. Das müßte zu dem Ergebnis führen, daß die Sozialisten gar keine, sondern nur utopische haben, die Liberalen sich schwertun, weil ihnen die Ökonomie alles ist, und nur die Konservativen ein angemessenes, durch die Geschichte inspiriertes Vorstellungsvermögen besitzen.

„Heroische Faulheit“ ist ein Begriff, der Ernst Jünger gefallen hätte, schon um die Differenz zwischen dem „Arbeitscharakter“ unseres Zeitalters und dem ganz anderen früherer, kriegerischer, Epochen deutlich zu machen. Er stammt aus einem Werk, dessen Thema nur auf den ersten Blick randständig scheint – die „balkanische Patriarchalität“ –, denn der Verfasser Gerhard Gesemann hat im kleinen aufgezeigt, zu welchen Leistungen die deutsche Völkerkunde zwischen der wilhelminischen Zeit und den 1950er Jahren im Großen fähig war: Wahrnehmung und Verstehen des Anderen, das den Namen verdient. Hier also die „heroische Faulheit“, die sich vor allem in der Verachtung aller möglichen Erwerbstätigkeiten äußert, aber auch in der Weigerung der Montenegriner, Trompeter zu werden, weil das den Spott auf die eigenen Söhne heraufbeschworen hätte. Als der Kommandant an den letzten kam, der für die Aufgabe geeignet schien, machte er ihm vor, wie leicht zu blasen sei, erhielt aber zur Antwort: „Blas du, Herr, bis morgen früh, wenn du willst. Es ist ja deine Trompete, ich aber werde nicht hineintuten und wenn du mich erschießen läßt.“ – „Morgen früh bist du aus meinem Lande verschwunden!“ – „Jawohl“. Der Mann ging nach Istanbul, kam aber, als 1876 der Krieg gegen das Osmanische Reich begann, zurück und kämpfte mit Auszeichnung auf der Seite seiner Landsleute.

Das Vorhandensein politischer Phantasie erklärt auch, warum der Osten rechter ist als der Westen. Das heißt, es gibt zum Beispiel in Dresden Menschen, die sich ausmalen können, wie es in ihrer Stadt aussähe, sollten die Verhältnisse dieselben werden wie in Frankfurt am Main, Offenbach oder Köln, und die das Bild alles andere als anziehend finden.

Bildungsbericht in loser Folge

LXVIII: Schule und Hochschule produzieren kein Zwei-, sondern ein Drei-Klassen-System: in der ersten Klasse befinden sich diejenigen, deren Intelligenz (und elterlicher Hintergrund) ausreicht, um es in jedem Fall zu schaffen, in der zweiten Klasse die, die es schaffen, obwohl sie die Anforderungen nicht erfüllen, weil ihr Scheitern den statistischen Gesamteindruck stören würde, in der dritten die, die eigentlich aufgrund von Begabung und Fleiß den Mittelbau bilden müßten, die man aber nicht angemessen fordert, worauf ein erheblicher Teil mit Übertritt in die zweite Klasse reagiert. Die fatalen Folgen werden nicht nur an gigantischen Fehlinvestitionen im Bildungsbereich, Bestnoteninflation, notorisch hohen Zahlen von Schul- und Studienabbrechern und Qualifikationsverfall spürbar, sondern auch an der kollektiven Reifungskrise derer, denen man jede Möglichkeit genommen hat, durch Anstrengung etwas zu erreichen und sich an gesetzten Standards zu messen.

Es gibt wahrscheinlich kaum ein deutsches Presseorgan, dessen Personalentscheidungen so aufmerksam verfolgt werden wie die der Frankfurter Allgemeinen. Insofern dürfte der Berufung von Jürgen Kaube in das Herausgebergremium ein größeres Interesse sicher sein, und es werden die Spekulationen über die Gründe der Beförderung ins Kraut schießen. Hier sei auch eine vorgetragen: Die Entscheidung wurde vorbereitet durch die allmähliche und sachte Anpassung des einstmals so eigensinnigen und lesenswerten Kaube an den Mainstream des Feuilletons, weshalb man auch auf keine Säuberung des FAZ-Kulturteils nach seinem Amtsantritt hoffen darf.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 16. Januar in der JF-Ausgabe 4/15.

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