© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/15 / 02. Januar 2015

Zeitgeistsender im Zwielicht
Pegida: Der Fall Felix Reichstein ist nur die Spitze des Eisbergs / Medien verlieren an Glaubwürdigkeit
Ronald Gläser

Ursula K. aus Berlin war am 15. Dezember zum erstenmal auf der Pegida-Demo in Dresden. Als ein französischer Korrespondent sie nach ihren Beweggründen zur Teilnahme befragte, entwickelte sich ein längeres Gespräch. Sie berichtete von ihrer früheren Brieffreundschaft mit einer Französin. Er hörte zu und machte Notizen. Visitenkarten wurden ausgetauscht. Der Franzose ließ die Informationen in seine Reportage für Les Echos einfließen.

So sieht normale Journalistenarbeit aus. Jedoch: Nicht alle machen es sich auch so einfach. Der RTL-Reporter Felix Reichstein war auf derselben Demo wie Ursula K. Er hatte sich aber unter die Demonstranten gemischt und wollte seine Tarnung nicht auffliegen lassen, als ein NDR-Kamerateam auf ihn zuging.

Also beantwortete er die Fragen des NDR-Reporters so, als wäre er ein typischer Pegida-Demonstrant. „Die Islamisierung macht sich breit in unserem Alltag“, sagte er sachlich in dem Bemühen, einen glaubwürdigen Pegida-Teilnehmer abzugeben. Auch seine anderen Aussagen waren gemäßigt: „Manchmal denke ich: Sind wir eigentlich noch in Deutschland?“ Oder: „Sollten radikale Islamisten aus Syrien nach Deutschland zurückkehren, dann wäre das beängstigend.“ Und doch hat sich der Journalist in nur drei Minuten um Kopf und Kragen geredet. Denn er hatte zwar den Auftrag, über Pegida zu berichten, aber nicht den, einen leibhaftigen Demonstranten zu spielen.

Das sagt zumindest RTL. Der Kölner Sender hat Reichstein noch in derselben Woche gefeuert. „Unser Mitarbeiter hat einen Fehler begangen, der nicht zu entschuldigen ist“, sagte Thomas Präkelt, RTL-Landesstudio Ost. Der Auftritt habe dem Berufsstand schwer geschadet, so Präkelt weiter. Der Sender hat seine Vorgaben für Undercover-Recherchen verschärft.

Reichstein ist danach abgetaucht. Er äußerte sich auf JF-Nachfrage nicht zu dem Vorfall, hat sein Twitterkonto (@DerFelix) aufgelöst und bei Facebook angeblich Postings an seiner Wand gelöscht.

Dabei ist die ganze Sache nur aufgeflogen, weil der NDR etwas gegen den Vorwurf der manipulativen Berichterstattung machen wollte. Der Sender stellte Kurzinterviews mit Pegida-Demonstranten ungekürzt ins Netz, was natürlich immer noch manipulativ sein kann, denn schließlich hat die „Panorama“-Redaktion genau diese Schnipsel ausgewählt – und nicht andere.

Die ARD legt großen Wert darauf, daß sie „keine Sozialpornos“ und keine „scripted reality“ im Programm habe. So drückte es der Programmchef Volker Herres einmal aus, als er über die Qualität der privaten Mitbewerber, vorneweg RTL, lästerte (JF 50/10). Jetzt dieses Eigentor.

Und es kommt noch schlimmer: Reichstein war NDR-Mitarbeiter, bevor er zu RTL ging. Natürlich kann das alles Zufall sein. Aber der Verdacht liegt nahe, daß sich Kollegen absprechen, um sich gegenseitig gutes Bildmaterial zu liefern. Der Weg hin zum Agent provocateur ist dann nicht mehr weit. Die Leitmedien machen das Reichstein natürlich nicht zum Vorwurf, sondern daß er es wagte, „latent ausländerfeindliche Sprüche zu klopfen“ (NDR), beziehungsweise „ausländerfeindliche Ansichten zu vertreten“ (Berliner Morgenpost).

Selbst wenn Reichsteins Variante stimmt, daß er zur Undercover-Recherche unterwegs war, wäre sein Verhalten nicht 100prozentig einwandfrei. Immerhin hat er gegen Ziffer 4 der Richtlinien des Deutschen Presserates verstoßen („Journalisten geben sich grundsätzlich zu erkennen“).

Bei Pegida muß sich niemand tarnen

Reichstein war kein Einzelfall bei Pegida: Auch Deniz Yücel, der Thilo Sarrazin als eine „lispelnde, zuckende Menschenkarikatur“ bezeichnet hat, war inkognito bei der Demonstration. Der taz-Kolumnist berichtet stolz von seiner verdeckten Ermittlung: „Ich werde den Rednern applaudieren und einige Male sogar in den ‘Wir sind das Volk’-Chor einstimmen.“

Yücel erzählt in seiner Kolumne von zwei weiteren Journalisten von der Zeit, die sich für ihren Auftritt in Dresden getarnt hätten. Da bei Yücel Realität und Phantasie oft zu einer Melange verschmelzen, ist nicht klar, ob diese Beobachtung fiktiv oder echt ist.

Niemand muß sich tarnen, wenn er über Pegida-Teilnehmer berichten will. Das beweist nicht nur das eingangs erwähnte Beispiel des französischen Korrespondenten, sondern auch der Auftritt von Matthias Matussek (früher Spiegel, jetzt Welt). Strenggenommen ist auch er aus Sicht vieler Pegida-Teilnehmer vermutlich ein Vertreter der verachteten „Lügenpresse“ wie Yücel oder Reichstein.

Dennoch machte Matussek aus seiner Demoteilnahme keinen Hehl, veröffentlichte sogar ein fröhliches Selfie bei Facebook. In seiner Reportage schrieb er später: „Im Kampf gegen Pegida ist jeder intellektuelle Regelverstoß erlaubt. Keine Differenzierung, ab sofort? Na ja, dann wäre wohl Straßenkampf der logische nächste Schritt.“ Ein Regelverstoß ist auch das, was sich die beteiligten Journalisten erlaubt haben.

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