© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/15 / 02. Januar 2015

Der Flaneur
Umtrünke in Waldeinsamkeit
Tobias Dahlbrügge

Das Geld liegt im Wald. In Form von Pfandflaschen. Jeden Tag finde ich in der Naturkulisse stumme Zeugen von Umtrünken. Tatortanalyse: Die Flaschen verraten viel darüber, wer hier angestoßen hat. Der 0,2-Liter-Flachmann mit Korn oder billigem Weinbrand und das Discounter-Bier lassen auf prekäre Verhältnisse schließen. Jugendliche hinterlassen meist trendige Bier-Mixgetränke oder süße Spirituosen. Einmal fand ich mindestens 50 Minifläschchen Wodka-Feige-Mix. Wein wird im Wald seltsamerweise nie genossen, Sekt dagegen manchmal.

Vier leere Pullen Schlenkerla Rauchbier: Experimentelles Trinken für Fortgeschrittene.

Doch unter einer bestimmten Kastanie treffen sich seit Wochen zwei Bier-Gourmets. Zumindest vermute ich das. Die Temperaturen sind mild für die Jahreszeit, es lehnen immer vier Flaschen am Stamm. Ich mutmaße, jeder trinkt zwei. Oder ist es nur einer, der vier trinkt?

Die Kenner bevorzugen Exquisites. Erst staunte ich über ein fränkisches Vollbier einer Privatbrauerei an der Pegnitz. Dann Augustiner Edelstoff. Nicht gerade billig und laut Fachliteratur eines des besten hundert Biere der Welt. Dann gab es Tegernseer Spezial. Nicht übel, sehr bayrisch.

Doch dann der Sensationsfund: Vier leere Pullen Schlenkerla Rauchbier. Das ist experimentelles Trinken für Fortgeschrittene. Der erste Schluck ist ein Schock: Diese Brauspezialität schmeckt nach Teewurst aus Fisch. Schlenkerla kann man nicht schnell runterkippen. Der unpopuläre Geschmack erfordert meditative Bedächtigkeit. Gehe jede Wette ein, die Trinker sind Männer.

Mit Leuten, die sich dazu offenbar in der Natur verabreden, käme man bestimmt gut ins Gespräch. Ich denke, ich werde mal abends kommen und versuchen, sie anzutreffen. Dann bringe ich sechs Flaschen Roggen-Schwarzbier mit. Frauen sitzen, die tonnenweise Folie in den Haaren haben“

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