© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

„Ich bin geschmeichelt!“
Stärkste Partei des Vereinigten Königreichs bei der Europawahl, erste Überläufer von den Tories, steigende Umfragewerte / Nigel Farages United Kingdom Independence Party schickt sich an, bei der Unterhauswahl im Mai die britische Politik aufzumischen
Moritz Schwarz

Herr Farage, wird Ukip stärkste Partei bei der Unterhauswahl im Mai?

Farage: Das wäre gut für unser Land!

Mit wieviel Prozent rechnen Sie?

Farage: Ich hab’ keine Ahnung.

Bitte?

Farage: Das läßt sich wegen unseres Mehrheitswahlrechts nicht vorhersagen.

Tippen Sie!

Farage: Nö.

Laut Umfragen: 12 bis 21 Prozent.

Farage: Das finde ich sehr erfreulich.

Allerdings ist das deutlich weniger als Ukips 26,7 Prozent bei der Europawahl.

Farage: Wo wir stärkste Partei Großbritanniens geworden sind! Bei der Unterhauswahl allerdings veranlaßt das britische Mehrheitswahlrecht viele Wähler dazu, taktisch abzustimmen: Sie wählen lieber eine der großen Parteien, um zu verhindern, daß die andere an die Regierung kommt. Ich weiß, daß das für euch Deutsche mit eurem Verhältniswahlrecht schwer nachzuvollziehen ist. Immerhin wählt aber auch ihr mit der Erststimme taktisch – mit eurer Zweitstimme drückt ihr eure eigentliche politische Meinung aus. Wenn wir die Zustimmung, die Ukip tatsächlich genießt auch bei der Unterhauswahl in Prozente verwandeln könnten, wäre das ein dramatischer Einschnitt für die britische Politik!

Tory-Chef David Cameron warnt: Wer Ukip wählt, bringt Labour an die Macht.

Farage: In der irrigen Annahme, die Ukip-Stimmen kämen aus dem konservativen Lager. Wie wir aber Ende 2014 gesehen haben, nämlich bei der Nachwahl im Wahlkreis Rochester, stimmt das nicht. Ukip hat dort mit 42 Prozent gewonnen, die Tories jedoch nur 14,4 Prozentpunkte verloren. 28 Prozentpunkte haben wir folglich anderswo gewonnen. Nämlich bei Labour, Liberalen und Nichtwählern.

Entscheidend ist ob des Mehrheitswahlrechts allerdings nicht, wie viel Prozent Ukip bekommt, sondern wieviele Sitze.

Farage: Eben, und das ist noch weniger vorherzusagen als die Prozente.

1983 holten die Liberalen mit 25,4 Prozent 23 Sitze, während sie 2010 mit nur 23 Prozent 53 Sitze errangen.

Farage: Die Zeitung Daily Mail hat ausgerechnet, daß wir mit 24 Prozent 128 Sitze gewinnen könnten. Das wäre schön, aber es könnten auch 24 Prozent und null Sitze sein, dann nämlich, wenn sich unser Stimmenanteil so auf die Wahlkreise verteilt, daß wir in keinem die Mehrheit haben. Sie haben vorhin unsere Umfragewerte zitiert. Es kann sein, daß die Institute, die uns mit nur 12 Prozent veranschlagen, recht behalten, wir damit aber fünfzig Sitze bekommen. Ebenso könnten jene recht behalten, die uns bei über zwanzig Prozent sehen, wir damit aber nur drei Sitze erzielen. Das ist eben das Mehrheitswahlrecht.

Was, wenn Sie zwar einen hohen Prozentsatz gewinnen, aber kaum Sitze?

Farage: Das hätte dennoch massiven Einfluß auf die britische Politik und würde den Wandel weiter vorantreiben. Wir erleben bereits, wie nicht nur Hinterbänkler der Tories, sondern auch ehemalige Parteiobere mehr und mehr Kritik am Kurs Camerons üben.

Würde Ukip im Falle des Erfolgs eine Koalition mit den Tories eingehen?

Farage: Koalitionen sind im deutschen Wahlsystem wichtig, nicht in unserem. Bei uns kann die stärkste Partei auch als Minderheitenregierung nach Mehrheiten suchen.

Würden Sie eine Tory-Minderheitsregierung unterstützen?

Farage: Wenn die Briten dafür endlich das versprochene Referendum über einen EU-Austritt bekommen – und zwar deutlich vor 2017 –, dann vielleicht ja.

Ukip beansprucht, die Macht den Etablierten zu nehmen und wieder in den Dienst des Volkes zu stellen. Verraten Sie diesen Anspruch nicht, wenn Sie sich auf die Unterstützung einer Tory-Regierung einlassen?

Farage: Wäre Ihnen Anarchie lieber? Es stimmt, wir wollen die Macht dem Volk zurückgeben, aber wir werden deshalb nicht blind jede Regierung lahmlegen.

Sie haben gesagt, Ukip würde auch mit Labour koalieren.

Farage: Das habe ich nicht! Ich habe gesagt, ich würde notfalls mit dem Teufel einen Handel machen – ohne dabei Labour ausdrücklich zu erwähnen. Denn wir, als mutmaßlich erfolgreiche, aber nicht stärkste Partei, können nicht einfach die Regierungsbildung sabotieren. Die Wähler wählen, und wir haben das Ergebnis zu akzeptieren. Und das lautet nun mal, daß die Partei mit den meisten Stimmen die Regierung stellt.

Über die Alternative für Deutschland haben Sie sich in der Vergangenheit stets positiv geäußert. Gilt das immer noch?

Farage: Warum nicht?

Etwa weil die AfD-Spitze den Landesverband NRW dafür gescholten hat, Sie eingeladen zu haben. Oder weil Parteichef Lucke ein Treffen mit Ihnen abgesagt hat.

Farage: Ich sage: Schwamm drüber!

Sie sind nicht sauer?

Farage: Sehe ich aus, als hätte ich Zeit, auf irgendwen sauer zu sein?

Ist dafür nicht immer Zeit?

Farage: Ach was, dafür ist das Leben viel zu kurz! Und ich finde, die AfD macht gute Fortschritte. Sie hat Wahlerfolge erzielt, hat ihr Themenspektrum erweitert und erscheint nicht mehr so akademisch. Alles sehr erfreulich! Ein Rätsel ist mir nur, warum sie sich im EU-Parlament in einer Fraktion wohl fühlt, in der die Hälfte der Mitglieder sie nicht leiden kann.

Aha, also doch versteckte Wut, weil die AfD lieber mit den Tories in der Fraktion der Europäischen Konservativen (EKR) sitzt, statt mit Ukip in der Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“?

Farage: Keine Wut, nur ein Sich-Wundern: Die Polen in der EKR wollten die AfD nicht, die Führungsfiguren der Tories dort wollten sie nicht. Die erste Amtshandlung der EKR war, mit „Ja“ für die Einführung des Euro in Litauen zu stimmen, und die Mehrheit dort unterstützt den EU-Beitritt der Türkei. Wenn ich in die Gesichter der meisten AfD-Abgeordneten in Brüssel sehe, dann wirken sie auf mich wie Fische auf dem Trockenen. Aber: Entscheidend ist, daß sich in Deutschland eine eurokritische Kraft etabliert! Und mir ist vollkommen klar, warum sich die AfD so verhält: weil sie in Berlin Probleme bekäme, würde sie mit uns zusammenarbeiten. Wie jede neue Partei steht sie unter Druck.

Ukip wird von einigen AfD-Funktionären allerdings als ausländerfeindlich eingestuft.

Farage: Dann sollten die sich besser informieren. In Großbrintannien schreibt so einen Unsinn – außer dem Daily Mirror – niemand. Glauben Sie etwa, der Independent, eine der am stärksten linksgerichteten britischen Tageszeitungen, würde mir eine wöchentliche Kolumne gewähren, wäre ich ausländerfeindlich?

Deutsche Medien, die „Welt“ etwa, bezeichnen Ukip immer wieder als rassistisch.

Farage: Rassistisch? Also das ist ja nun wirklich totaler Quatsch! Unsere Einwanderungskritik hat nicht das Geringste mit Rasse zu tun. Wenn, dann sind wir derzeit sogar eher für schwarze Einwanderung als für weiße, denn was Großbritannien tut, ist schwarzen Ingenieuren die Tür zu weisen, während etwa aus Rumänien jedermann einreisen darf. Das kritisieren wir!

In einem Interview haben Sie es abgelehnt, Rumänen in der Nachbarschaft zu haben.

Farage: Es wäre schön, würden Sie mich mal richtig zitieren. Ich wurde gefragt, ob ich beunruhigt wäre, würde in meine Nachbarschaft eine Gruppe rumänischer Männer ziehen. Ganz ehrlich: Ich wäre über jede Gruppe Männer, die in meine Nachbarschaft zieht, beunruhigt! Zumal aber, wenn es Rumänen sind, da laut Polizei 92 Prozent aller Geldautomatenmanipulationen in London von Rumänen verübt werden. Also ich würde mich fragen, was macht diese Gruppe Männer in meiner Nachbarschaft eigentlich den ganzen Tag? 190 Länder in der Welt lassen kriminelle Banden gar nicht erst einreisen beziehungsweise weisen sie sofort aus. Nur die Länder der EU sind dazu nicht in der Lage. Was Großbritannien angeht, möchte ich das ändern. Und ganz ehrlich, ich bin fest überzeugt, daß das die Mehrheit der Briten und auch der Deutschen genauso sieht.

Die Ukip-Abgeordneten haben demonstrativ kleine Union-Jack-Flaggen auf ihre Pulte im EU-Parlament gestellt.

Farage: Oh ja!

Ihre Idee?

Farage: Weiß ich nicht mehr – könnte aber von mir sein!

Warum?

Farage: Na, weil wir Briten sind!

Und die anderen Abgeordneten?

Farage: Oh mein Gott, Sie sollten sehen, wie ergeben einige gegenüber der EU-Flagge und der EU-Hymne sind! Besonders schlimm sind da die Deutschen. Geradezu fanatisch! Ganz anders als die normalen Deutschen, die ich bei meinen Besuchen in Deutschland kennenlerne und die ahnen, daß sie es sein werden, die eines Tages den Preis für das Euro-Experiment zahlen werden, der – das sage ich Ihnen – unglaublich viel höher sein wird, als ihr Deutschen euch das heute auch nur vorstellen könnt! Das ist auch der Grund, warum Frau Merkel und eure politische Klasse alles zu tun bereit sind, um die Eurozone zu retten.

Der „Spiegel“ hat eine Liste der größten „Feinde der EU“ veröffentlicht.

Farage: Und der gute alte Nigel auf Platz eins! Ich bin geschmeichelt! Ich rangiere sogar vor Marine Le Pen. Und wissen Sie warum? Weil Ukip keine radikale, sondern eine liberale Partei im klassischen Sinne ist. Deshalb haben sie vor uns am meisten Angst. Denn diese Leute fürchten nichts mehr als echte Demokratie, in der die Bürger ihre Freiheit verteidigen, statt nach der Pfeife von Ideologen zu tanzen.

Die „Times“ hat Sie die „peinlichste Person“ Großbritanniens genannt.

Farage: Na klar! Was sollen die denn sonst schreiben? Schließlich ist die Times das Blatt des Establishments. Jeder, der einen Konsens herausfordert, ist natürlich „peinlich“, „verantwortungslos“, „irre“ und „böse“. Das ging William Wilberforce so, als er dafür plädierte, die Sklaverei abzuschaffen. Das ging Winston Churchill so, als er dafür eintrat, dem „netten Mr. Hitler“ die Stirn zu bieten. Die Times versucht verzweifelt, Ukip zu stoppen, aber es gelingt ihr nicht.

Ist Ukip die neue Tory-Partei?

Farage: Nein, die neue Labour-Partei!

Bitte?

Farage: Alle denken immer, wir seien enttäuschte Tories. Einige sind das auch, stimmt, aber an sich ist Ukip die Partei der normalen, arbeitenden Briten. Das ist unsere Wählerschaft. Die Tories, das ist seit jeher eher die Partei des Establishments, der Geschäftswelt und des Status quo. Die machen keine Revolution. Wir dagegen wollen den Wandel.

Was passiert, wenn die Briten in einem Referendum für die EU votieren. Ist Ukip dann gescheitert?

Farage: Sehen Sie sich die Scottish National Party an: Deren Chef Alexander Salmond hat das schottische Unabhän-gigkeitsreferendum verloren – und seitdem wird seine SNP stärker und stärker. Wie auch immer: Je mehr wir nach Beginn der Krise über den Euro debattiert haben, desto mehr kamen die Bürger zu dem Schluß, daß er keine gute Idee war. Ich denke, das gleiche wird auch bei der Frage nach der EU-Mitgliedschaft passieren. Und ich habe kaum Zweifel, daß wir das Referendum gewinnen werden.

 

Nigel Farage, ist Vorsitzender und Mitgründer der United Kingdom Independence Party (Ukip) sowie im Europäischen Parlament der Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“, der die Ukip angehört. Der selbständige Handelsmakler und ehemalige Tory, Jahrgang 1964, führt die 1993 gegründete Partei (Logo rechts) seit 2006. Im Jahr 1999 zog sie mit sieben Prozent erstmals ins EU-Parlament ein, bei der Europawahl 2014 wurde sie mit 26,7 Prozent und 24 Sitzen stärkste Partei im Vereinigten Königreich. Bei der Unterhauswahl 2010 erreichte sie dagegen nur 3,1 Prozent, errang bei den Kommunalwahlen 2013 allerdings mit rund 23 Prozent enorme Stimmgewinne, wenn auch – wegen des Mehrheitswahlrechts – nur 6,2 Prozent der Mandate. Im Herbst 2014 wechselten zwei Tory-Abgeordnete zu Ukip. Beide gewannen in Nachwahlen erneut ihren Wahlkreis, so daß Ukip nun über zwei Sitze im Unterhaus verfügt. In den Umfragen für die britische Parlamentswahl im Mai 2015 lag die Partei im Dezember zwischen 12 und 21 Prozent.

www.nigelfaragemep.co.uk

www.ukip.org

Foto: Ukip-Chef Farage inmitten der Presse: „Die Etablierten fürchten nichts mehr als echte Demokratie, in der die Bürger ihre Freiheit verteidigen, statt nach der Pfeife von Ideologen zu tanzen“

 

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