© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Rätselraten an der Spree
Pegida I: Die Berliner Politik reagiert zunehmend ratlos und gereizt auf die andauernden Proteste in Dresden und anderen Städten
Paul Rosen

Deutschland befindet sich im politisch-medialen Ausnahmezustand. Am Brandenburger Tor in Berlin und am Kölner Dom wurden die Lichter gelöscht, weil 200 oder 300 Demonstranten durch die Straßen zogen, deren Vorstellungen den Bundestagsparteien und Medien nicht ins Konzept passen. Das politische Berlin hat Schnappatmung, die Medien hyperventilieren. Statt in den Dialog mit den Bürgern einzutreten, hagelt es gegenseitige Schuldzuweisungen und Abgrenzungen.

Zum Vergleich: Wenn sich in Italien wütende Forcini Schlachten mit der Polizei liefern und in Frankreich Zehntausende Rotmützen Straßen blockieren oder Hunderttausende gegen die Gleichstellung von Homosexuellen demonstrieren, bleiben das Kolosseum und der Triumphbogen hell erleuchtet. Niemand käme auf den Gedanken, die Lichter zu löschen, denn Demokratien sähen Demonstrationen als Wesensmerkmal ihrer selbst an, befand der Publizist Wolfram Weimer im Handelsblatt und fuhr schweres Geschütz gegen die deutsche Politik auf: „Nur Diktaturen haben Angst vor Demonstrationen.“

Merkels Neujahrsansprache als Zäsur der Politik

Damit übertreibt Weimer natürlich, aber seine Worte treffen zielsicher eine politische Klasse, die die massenhafte Einwanderung Ungebildeter, die Folgen des Geburtenrückgangs, die weicher werdende Währung und eine destruktive Energiepolitik gnadenlos tabuisiert und sich zu einem seit Beginn der Aufklärung unüblich gewordenen Dogmatismus aufschwingt.

Eine Zäsur in der deutschen Politik war die Neujahrsansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel, in der die CDU-Chefin nach dem Anschwellen der Pegida-Proteste in Dresden alle Menschen warnte, sich an diesen und ähnlichen Aktionen zu beteiligen: „Folgen Sie denen nicht, die dazu aufrufen. Denn zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja sogar Haß in deren Herzen.“

Die Ausgrenzung von Demonstranten, deren ungeheuerlichstes Vergehen im Singen von Weihnachtsliedern bestand, ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. Merkel hatte allerdings nicht zum ersten Mal zum Mittel der Ausgrenzung gegriffen, um einen politischen Diskurs zu ersticken. So bezeichnete sie das Buch des ehemaligen Bundesbankers Thilo Sarrazin mit dem Titel „Deutschland schafft sich ab“ als „nicht hilfreich“ und „diffamierend“. Sie gab ohne jede Gesichtsröte zu, das millionenfach verkaufte Werk über die Folgen der Einwanderung vor ihrem Urteil gar nicht gelesen zu haben. Sarrazin verlor seinen Job. Die Rettung der Eurowährung nannte die Kanzlerin gegen den Rat der großen Mehrheit der deutschen Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler „alternativlos“. Sie mobilisierte damit Geister, die sie nun nicht mehr los wird: Die AfD ist ebenso ein Produkt Merkelscher Politik wie die Pegida-Demonstrationen.

Das merkte zunächst die CSU, die unter der Volksstimmung in der Vergangenheit oft genug zu leiden hatte. CSU-Funktionäre wissen noch, wie schnell Stimmen an die NPD (in den sechziger Jahren) und an die Republikaner (in den achtziger Jahren) verlorengehen können. Der massive Einbruch der AfD ins CSU-Lager bei den Europawahlen überraschte die Mannen um Parteichef Horst Seehofer. Folglich war es nur eine Frage der Zeit, bis die Schuld an schlechten Wahlergebnissen und Demonstrationen bei Merkel abgeladen wurde. Als erster kam der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Hans-Peter Friedrich aus der Deckung, von dem man wußte, daß er wegen seiner Entlassung aus der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Edathy-Affäre noch eine Rechnung mit Merkel offen hatte. Friedrich warf Merkel und der CDU vor, den Grünen und der SPD die Themen wegzuschnappen, aber nicht der AfD. Die Kanzlerin schwimme im Mainstream stimmungsabhängiger Meinungsumfragen“ mit, kritisierte Friedrich, der Merkel vorwarf, mit ihrem Kurs überhaupt erst für AfD und Pegida Platz zu machen. Friedrich wurde von Seehofer und von Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt zurückgepfiffen, obwohl in der CSU niemand glaubt, daß Friedrich die Rolle des Rächers der Enterbten ohne ausdrückliche vorherige Billigung der Parteispitze eingenommen haben könnte.

Immerhin hatte die CSU-Landesgruppe bei ihrer traditionellen Klausur in Wildbad Kreuth damit wieder hohen Zuspruch der Medien, die auf weitere Angriffe auf Merkel lauerten. Auch mit dem Koalitionspartner SPD legte sich die CSU an, nachdem Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) die Pegida-Demonstrationen als „Schande für Deutschland“ bezeichnet hatte. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer erklärte, was Maas gesagt habe, sei „voll daneben“.

Grüne und Linke fielen bisher nur mit Fundamentalkritik auf; der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir sprach von den Demonstranten als „Mischpoke“. Nazi-Vorwürfe werden von fast allen grün-dunkelroten Politikern erhoben. Nachdem neben Maas auch SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi die Demonstranten brutal als „geistige Brandstifter“ angegriffen hatte, fand der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel erstmals moderate Worte. Sicher seien auch Neonazis unter den Protestlern. „Aber es gibt eben auch viele, die verunsichert sind und mitlaufen, weil sie sich mit ihren diffusen Ängsten vor einer ‘Überfremdung’ nicht ernstgenommen fühlen von der Politik.“

Konsequenzen zogen aber bisher weder Gabriel noch die CSU. Man wähnt sich sicher in der Scheinrealität des Reichstags, der in diesen Tagen trotz gläserner Kuppel nicht wie das Symbol einer offenen Demokratie, sondern mit seinen dunklen Mauern wie eine Trutzburg wirkt. Für zusätzlichen Schutz scheint das mediale Trommelfeuer gegen Pegida und AfD zu sorgen – bis die Realität durchs Brandenburger Tor brechen wird. In Dresden fing es auch mit 200 Demonstranten an.

Foto: Teilnehmer des Kölner Pegida-Ablegers „Kögida“ am Montag: Friedrichs Angriff war kein Zufall

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