© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Kampf gegen Terror, der eigentlich gar nicht existiert
Frankreich: Anschläge mit mutmaßlich islamistischem Hintergrund erschüttern die Franzosen / Regierung beschwichtigt – und verschärft die Überwachung
Eva-Maria Michels

Weihnachten behalten die Franzosen in keiner guten Erinnerung. Drei Anschläge versetzten sie in Aufregung: Am 20. Dezember stürmte ein 20jähriger moslemischer Konvertit aus Burundi eine Polizeiwache in Joué-lès-Tours und bedrohte drei wachhabende Beamte mit einem Messer. Dabei schrie er ununterbrochen „Allahu akbar“. Der Angreifer wurde schließlich von Polizisten erschossen. Aufgrund der „Allahu akbar“-Rufe und da der Täter auf seiner Facebook-Seite die Flagge des Islamischen Staates (IS) abbildete und dessen Propagandavideos verbreitete, übernahm die Pariser Staatsanwaltschaft die Untersuchung.

Am Tag darauf fuhr ein 40jähriger Kleinkrimineller algerisch-marokanischer Abstammung mit französischem Paß an fünf verschiedenen Orten in Dijon in Menschengruppen und verletzte 13 Personen. Auch er schrie ununterbrochen „Allahu akbar“. Bei seiner Verhaftung gab der Mann als Tatmotiv an, auf das Schicksal der Kinder in Palästina aufmerksam machen zu wollen.

Die Staatsanwältin von Dijon, Marie-Christine Tarrare, schloß ein religiös motiviertes Attentat aus. Stattdessen verwies sie darauf, daß der Täter an „einer Psychose mit religiösem Delirium“ leide und sich „zwischen Februar 2001 und November 2014 157mal in die Psychiatrie begeben“ habe. Er werde gegenwärtig wegen Drogenproblemen behandelt und bei ihm sei bereits vor einigen Jahren Schizophrenie diagnostiziert worden.

Am 22. Dezember erfolgte ein weiterer Angriff mit einem Auto auf Passanten in Nantes. Dort raste der 44jährige Sébastien S. mit 1,8 Promille im Blut mit einem Kleintransporter absichtlich in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt. Elf Personen wurden verletzt, eine erlag wenig später ihren Verletzungen. Der Fahrer des Kleintransporters stieß sich am Tatort mit einem Messer neunmal in die Brust und liegt seither vernehmungsunfähig im Krankenhaus. Auch in Nantes wollen Augenzeugen des Tathergangs, darunter ein Polizist, den Ruf „Allahu akbar“ vernommen haben.

Wie bereits nach dem Überfall auf ein jüdisches Paar im Pariser Vorort Créteil vor einem Monat versuchte die Regierung die Bevölkerung zu beruhigen und stellte bereits nach dem ersten Attentat den Täter als „einsamen Wolf“ dar. Nach dem zweiten Anschlag verkündete Innenminister Bernard Cazeneuve, daß „es keinen Zusammenhang zwischen den beiden Anschlägen“ gebe. Auch Präsident Hollande warnte davor, „in Panik zu geraten und die Ereignisse miteinander zu verquicken.“ Premierminister Valls gab zwar zu, daß „wir bisher noch nie einer so großen Gefahr von Terroranschlägen ausgesetzt waren wie gegenwärtig“, und daß deshalb „während der Festtage 200 zusätzliche Soldaten an stark frequentierten Orten auf Patrouille gehen“. Gleichzeitig rief Valls aber dazu auf, daß „sich die gesamte Gesellschaft gegen radikale Gewalt, die Zunahme von Haß und Intoleranz mobilisieren“ müsse.

Nach offizieller Lesart gab es nur in Joué-lès-Tours „möglicherweise“ einen islamistisch verblendeten Einzeltäter. Um so erstaunlicher, daß die Regierung am 24. Dezember per Dekret und unbemerkt von der Öffentlichkeit den umstrittenen Artikel 20 des „Loi de programmation militaire“ in Kraft setzte. Seit Anfang des Jahres werden aufgrund dieses Antiterrorgesetzes alle Internetbenutzer auf französischem Territorium überwacht. Darüber hinaus sammeln die Sicherheitsdienste die elektromagnetischen Signale sämtlicher Telefone und Computer in Frankreich.

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